Verweile doch, Du bist so schön...

■ „Film Stills“ – ein Katalog mit Hollywood-Fotografien aus Zürich

Erinnerungen an Filme – das sind Bilder. Das Gedächtnis hat sie aus hundert Minuten Hitchcock, Spielberg oder Bergman herausgefiltert. Erinnerungen an Tippi Hedrens panischen Versuch, sich in Hitchcocks „The Birds“ der hackenden Monster zu erwehren; Marlene Dietrichs langsamer Blick für den schönen Legionär Gary Cooper in Sternbergs „Marocco“. Orson Welles, wie er die blonde Rita Hayworth eisern klammert im Spiegelkabinett aus „Lady from Shanghai“, die expressionistischen Schatten in John Hustons „Asphalt Jungle“, Clark Gable und Vivien Leigh in ihrer mythischen Kußszene aus „Vom Winde verweht“.

Zusammenhangslos bleiben Bildfetzen haften. Chaotisch, losgelöst aus ihrem kinemathographischen Zusammenhang, scheinbar konfus spiegeln sie mehr eigene Gefühle und Sehnsüchte wider als das gesehene Meisterwerk. Ein paar Fotografien im Kopf stehen still, die laufenden Bilder angehalten. Die Stand-Bilder fügen sich zu einem ganz eigenen Kino im Kopf. Was sich so eingebrannt hat, kommt nicht von ungefähr.

Die großen amerikanischen Filmstudios überließen nichts dem Zufall; ihre Illusionsprodukte sollten keine Beute eines launischen Publikums sein. Sie engagierten zuhauf Fotografen, die auf den Sets unsichtbar und lautlos auf den Auslöser drückten. Später erschienen, oftmals vorab in den einschlägigen Film- und Fan-Magazinen, die Film Stills: Valentino und Swanson lagern im schwülstigen Ambiente, Bogart und Bergman treffen sich in Casablanca, Johnny Weismueller schultert seine Jane Maureen O'Sullivan.

Der bisher ungeschriebenen Geschichte der Film Stills ist ein außerordentliches Katalogbuch gewidmet. Annemarie Hürlimann und Alois Martin Müller haben den sorgfältig edierten und reich bebilderten Band herausgegeben. Er ist erschienen zur gleichnamigen Ausstellung „Film Stills – Emotions Made in Hollywood“, die bis 31.Januar das Museum für Gestaltung Zürich präsentiert. Exemplarisch, anhand von Serien aus einzelnen Filmen, von Stroheims „Greed“ über „Citizan Kane“ bis „High Noon“ und immer wiederkehrenden Motiven – Spiegel, Kuß, Schwarze Serie, Musical – gelingt es ihnen, eine Bestandsaufnahme der Standfotografie aus Tausenden von Film Stills zu dokumentieren.

Eingerahmt wird die wohlfeile Augenlust von sechs Beiträgen zur Wirkungs-, Rezeptions- und Produktionsgeschichte der Film Stills. So untersucht unter anderem Gertrud Koch in ihrem kritischen, vergnüglich zu lesenden Aufsatz „Verweile doch, Du bist so schön...“ die von den Major-Studios für Amerikas Frauen propagierten Lebensentwürfe und deren Einfluß auf's anvisierte Publikum. Joan Crawford liest im Magazin, das ein Starporträt der Diva als Titelblatt ziert: Standbilder weiblicher Stars als Leitbilder für die middle class. Fan-Magazine, Fanzines, und ihre einzigartige Stellung innerhalb der amerikanischen Zeitschriftengeschichte beleuchtet Annemarie Hürlimann: „Madame Bovarys Sprößlinge“. Erstaunlich, wie wenig „die Traumfabrik Hollywood hätte ohne Standfotografien und Presse existieren können“. Wenige der Stills-Fotografen Hollywoods erlangten wie Clarence Sinclair Bull oder Ruth Harriert Louise Berühmtheit über den Abzug hinaus.

Amerikas Träume und Ideale, der american way of life, „Hollywood-Themen“, die Michel Cieutat in seinem Beitrag aufspürt, liefern ein „eindrucksvolles Beispiel einer nationalen Kino-Ikonographie“, gebannt auf ein paar Metern Zelluloid. Einen Gegenentwurf zum Gesellschaftsmythos der Stills-Fotografie macht Jörg Huber in seinem Artikel „The Big Sleep und das Erwachen“ aus. Cindy Sherman, amerikanische Fotografin, decrouvriert mit ihren gleichnishaften Selbstinszenierungen aus den siebziger Jahren Hollywoods Weiblichkeitsmythen. Ihre „Untitled Film Stills“ sorgen für rabiate Ent-Täuschungen. Anzumerken ist, daß einige Autoren der kundigen Essays das ein oder andere Mal einem Hang zur artistischen Gelehrsamkeit frönen. In den englischen Übersetzungen liest sich das verblüffend einfacher. Yvonne Rehhahn

„Film Stills – Emotions Made in Hollywood“. Herausgegeben von Annemarie Hürlimann und Alois Martin Müller. Edition Cantz, 220 Seiten, 68DM.