Der Youngster der Juden Deutschlands

Ignatz Bubis, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland: Ein Selfmademan mit Charme, Energie und Ambitionen/ Nur Mahnung genügt ihm nicht, er will Einfluß ausüben  ■ Von Michaela Schießl

Für einen Augenblick sieht es so aus, als ob Ignatz Bubis den Bundespräsidenten kurzerhand umarmen wird. Zuzutrauen wäre es ihm. Doch der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland weiß, was sich geziemt beim Neujahresempfang in der Villa Hammerschmidt. Er begnügt sich damit, dem Staatsoberhaupt herzlich die Hand zu reichen und ein wenig länger zu plaudern als die Kandidaten vor ihm. Zufrieden schiebt er sich durch das Spalier der Kameras in den angrenzenden Salon. Dorthin, wo sich die ausgesuchten Händeschüttler der Nation nach vollzogenem Kratzfuß zum Plausch versammeln.

Keine Minute dauert es, bis Bubis umringt ist. Schon sieht man den kleinen, dicken Mann nicht mehr. Wer ihn sucht, der achte einfach auf kurze, wild gestikulierende Arme. Mal klopfen sie Bekannten freundschaftlich auf die Schulter, dann untermalen sie raumgreifend eine Anekdote, hin und wieder schießen sie aus den dunklen Anzugansammlungen heraus und greifen flink nach den Fischhäppchen. Eigentlich aber braucht man nur zu lauschen. Wo gelacht wird, ist Ignatz Bubis. Der Repräsentant der Juden in Deutschland ist ansteckend lebenslustig, und das in einer Zeit, wo das Lachen leicht im Halse steckenbleibt.

„Am besten, wir fahren unten herum ins Zentralratsbüro, das ist besser um diese Zeit, oder nein, warten Sie, ach, ich weiß schon, jetzt rechts, ganz bestimmt.“ Längst hat der Chauffeur von Ignatz Bubis aufgegeben, seinem Chef zu widersprechen. Widerstandslos lenkt er die Limousine nach rechts, schicksalsergeben folgt der Wagen der beiden Leibwächter. Kurz darauf sind beide rettungslos im Bonner Einbahnstraßendschungel verstrickt. „Komisch“, sagt Bubis, „muß an der Baustelle gelegen haben, aber jetzt, jetzt müssen wir links.“ Der Chauffeur grinst. Später wird er sagen, daß Bubis der beste Chef der Welt ist.

Morgens um sieben ist Bubis von seiner videoüberwachten Villa in Frankfurt aus gestartet, abends um halb neun Uhr wird er zurück sein bei Frau und Tochter. Ein lockerer Tag also, seit der Millionär Ende September 1992 – nach dem Tod von Heinz Galinski – den ehrenamtlichen Vorsitz des Zentralrats der Juden in Deutschland übernommen hat.

Vier Monate haben dem Immobilienmakler, der 1927 in Breslau geboren wurde, genügt, um das Image der Institution grundlegend zu verändern. Vier Monate, in denen er als „Gewissen der Nation“ (Wochenpost) Hochsaison hatte. Über seine Jahre im Arbeitslager im polnischen Deblin und den Tod seines Vaters und zweier Geschwister in Treblinka hat er nie gern gesprochen. Nun jedoch steht er vor Rostock, Sachsenhausen, Ravensbrück und Mölln – und redet. Würde er das Amt wieder übernehmen, wenn er gewußt hätte, was auf ihn zukommt? „Dann erst recht“, sagt Bubis. „Ich wäre unruhig, wenn ich nicht steuern könnte, wie es gemacht wird.“ So wie er immer unruhig ist, wenn er Dinge nicht in der Hand hat. Sich auf andere verlassen ist sein Ding nicht. „Ich muß noch lernen zu delegieren“, sagt er und schaut so treu, als wäre es ihm ernst.

In Wahrheit jedoch liebt der 65jährige („Ich bin der Youngster des Zentralrats“) seine Rolle als Selfmademan. Eine Sekunde in Ruhestellung ist für ihn verlorene Zeit. „Freizeit? Ich brauche keine.“ Bubis verwirklicht sich bei dem, was er tut. Als ihm Geldverdienen wichtig war, hat er es in Kauf genommen, beim Frankfurter Häuserkampf in den siebziger Jahren von Daniel Cohn-Bendit als Spekulant betitelt zu werden. „Ja, ich bin ein Spekulant“, entgegnete Bubis damals. „Das hier ist ein Schweinesystem, und ich bin ein Teil davon.“ Damals entwaffnete er seine Gegner, die ihn heute liebevoll „unseren Lieblingsspekulanten“ nennen, mit Offenheit, später klaute er deren Aktionsformen, als er 1985 die Bühne des Frankfurter Schauspiels besetzte und die Aufführung des Fassbinder-Stücks „Die Stadt, der Müll und der Tod“ verhinderte.

Die Spontaneität, die Bubis ausstrahlt, gekoppelt mit dem hohen Grad an Glaubwürdigkeit und rhetorischem Geschick, macht ihn zum Medienstar. Talkshowmaster reißen sich um ihn, Journalisten legen sein Frankfurter Büro lahm, Einladungen überschwemmen seinen Schreibtisch.

Bubis sagt alles zu. Weil es ihm Spaß macht, mit Leuten zu sprechen. Weil er neugierig ist. Weil er nicht nein sagen kann. Und weil er an den Dialog glaubt, als Allheilmittel der Demokratie. „Wir müssen schon aufpassen, die Demokratie fließt nicht in unserem Blut“, sagt Bubis. Dennoch: Eine Wiederholung von 1933 hält er für ausgeschlossen, Vergleiche für unlauter. „Der Nationalsozialismus war staatlich gelenkt, unterstützt von der Großindustrie und Hugenbergs Medienimperium. Heute lehnt die Wirtschaft den Rechtsradikalismus ab.“ Nur wenn sich die demokratischen Parteien nicht einigen können, bestünde die Gefahr, eine ähnlich zerrissene Situation wie in Weimar heraufzubeschwören.

Dagegen will er anreden, immer wieder, laut und deutlich. Bis Ende März hat er jeden Abend Termin. „Ich halte meine Rede frei, damit ich jederzeit auf mein Publikum reagieren kann.“ Monologe empfindet er als Strafe, Floskeln sind ihm ein Graus, Allgemeinplätze ein Greuel, Pathos geht ihm völlig ab.

Wo der ehemalige Auschwitz- Häftling Galinski ein Symbol war für Trauer, Askese, Leid und Tod, ein unantastbares Denkmal, ist Bubis der Mann zum Anfassen. Einer, der, die Vergangenheit im Hinterkopf, positiv nach vorne denkt. „Galinski hat gelebt mit Auschwitz im Herzen“, sagt Bubis. „Ich bin ein bißchen anders. Nur mit Auschwitz, ohne Hoffnung, könnte ich nicht leben.“ Max Willner, der 86jährige Vizepräsident des Zentralrats, urteilt: „In Wirklichkeit sagt Ignatz das gleiche wie Galinski. Er sagt es nur anders. Netter, charmanter, freundlicher.“

Wenn der Chef aus Frankfurt heute zur Tür des Zentralrats-Büros hereinfegt, herzlich in die Runde grüßt und seinen schmucklosen Schreibtisch besteigt, laufen alle zusammen. Wer was von ihm will, darf fortan nicht mehr weichen. Am besten, man zupft ihn leicht am Ärmel und läßt nicht mehr locker. „Herr Bubis, hier brauche ich Ihre Unterschrift, Herr Bubis, die Chefredaktion der Jüdischen Zeitung muß geklärt werden, Herr Bubis, der Herr Minister ist am Telefon, Herr Bubis, da gibt's eine Frage mit dem Verlag.“ Herr Bubis wirkt hocherfreut. Als erste Amtshandlung läßt er Kuchen kommen, bevor er sich hochkonzentriert den Aufgaben stellt. Gerade fünf Minuten ist er im Haus, als das Telefon schrillt. „Ihr seid die wahren Nazischweine, ihr Drecksjuden, ihr gehört doch alle vergast“, keift eine weibliche Stimme. „Die schon wieder“, sagt die Sekretärin. Ignatz Bubis zieht einen der zahlreichen Briefe aus der Aktenmappe, die jeden Morgen in seinem Briefkasten landen. Da schreibt Herr Franz- Dieter Schlagkamp, Dorfbürgermeister in Senheim/Mosel, einen Tag vor Weihnachten einen „sorgenvollen“ Gruß an den „Ober-Juden Bubis“: „Wenn man erfährt, daß extra aus den USA Juden nach Hamburg fliegen, um dort das deutsche Volk zu beschimpfen, wenn sich Juden in Deutschland bewaffnen wollen, um sich gegen „die Deutschen“ zu schützen, wenn man von Israel-Besuchern hört, wie dort Deutsche behandelt wurden, wenn man all die Milliarden Deutsche Mark, die der junge hart arbeitende deutsche Steuerzahler aufbringt, um an das jüdische Volk Reparationen zu zahlen, dann bin ich froh, daß ich als Bürgermeister einer kleinen 700-Einwohner-Gemeinde keinen jüdischen Mitbürger habe, der den täglichen Dorffrieden mit seinem Reizstachel stört.“

Briefe wie dieser gehören zu den harmloseren, sagt Bubis, weil sie so plump sind. Mit solchen Leuten zu sprechen ist für ihn vergeudete Zeit. „Für Antisemitismus gibt es keine logischen Gründe, mit Vernunft kann man dem nicht beikommen.“ Bubis ignoriert die Schwachköpfe.

Der Illusion, daß Judenfeindlichkeit verschwunden sei, hat er sich nie hingegeben. „Es gibt keinen neuen Antisemitismus, nur das Tabu, darüber zu sprechen, ist gebrochen worden.“ Ein Satz, der so emotionslos daherkommt, als ob er den Analytiker nicht beträfe.

Es zupft am Ärmel. „Herr Bubis, wirklich, wir müssen los, die Amerikaner warten.“ Der Chauffeur drängelt, ab geht es in Richtung Bristol Hotel. „Am besten, wir fahren gleich hier unten den Schleichweg“, sagt Bubis.

Im Hotel angekommen, begrüßt Bubis mit inniger, langer Umarmung seinen Freund Goldmann, den Delegationsleiter der „Anti-Defamation-League“. Die US-Amerikaner sind müde von der langen Reise, was Bubis nicht entgeht: Er erzählt Witze und Anekdoten, läßt sein Temperament sausen. Fünf Minuten später sind alle wach, Bubis macht ernst. Knapp referiert er auf englisch – insgesamt spricht er sieben Sprachen – die Zustände in Deutschland. Heftig geißelt er das Verhalten der Bundesregierung in Rostock. „Ich will nicht sagen, daß die Regierung die Ausschreitungen absichtlich genutzt hat, um die Grundgesetzänderung des Artikel 16 durchzupauken. Aber es sieht so aus.“ Bubis, seit 23 Jahren in der FDP, lehnt die Änderung des Asylrechtsartikels ebenso entschieden ab wie schärfere Gesetze. „Die bestehenden sind genug, wenn man sie denn anwendet. Und ein paar Wirtschaftsasylanten, per Länderkontingente festgelegt, kann dieses Land auch vertragen.“ Genau setzt er seine Gäste ins Bild, auf daß sie anschließend dem Außenminister Kinkel empfindlich auf den Zahn fühlen sollen.

So arglos und herzlich Ignatz Bubis sich seinen Gästen gegenüber gibt, so genau plant er die Wirkung seiner Handlungen. Der Besuch bei Kinkel, die kameradschaftliche Begrüßung zwischen Außenminister und Parteifreund Bubis soll den Amerikanern verdeutlichen, daß die deutschen Juden sehr wohl über genügend Kontakte verfügen. „Die Amis wollen uns gerne bevormunden, das mag ich nicht“, sagt Bubis. Der Freundschaft tut das keinen Abbruch: „In der Sache kann ich schon mal zynisch werden, gegen Personen nie. Bei Menschlichkeit gibt es keine Kompromisse.“ Seine Lebensdevise: „Wenn du was tust, mußt du mit dir im reinen sein, niemals darfst du jemand Schaden zufügen oder beleidigen.“

Und die Sache mit dem Kanzler, den er einen Tolpatsch nannte? „Oh, sagt Bubis, und schaut so lustig wie Fritz Muliar, „das war doch ein spontaner Spaß. Respektlos sei er nie. Andererseits kenne er keine Demut vor Obrigkeiten. „Wenn mir eine Flapsigkeit einfällt, bring' ich sie unter die Menschen.“

Ein Zug, den besonders seine Leibwächter zu lieben gelernt haben. „Die hat mir der Staat zugeteilt, der hat Angst um mich“, feixt Bubis. „Die glauben, mich sogar im Auswärtigen Amt beschützen zu müssen. Muß gefährlich sein hier.“ Leicht haben sie's nicht, die Bodyguards. „Eine Woche mit dem, dann bist du platt.“ Der Chauffeur hat bessere Nerven. Nur ein breites Grinsen bemächtigt sich seines Gesichts, als Bubis zur Rückfahrt einsteigt mit den Worten: „Um halb neun will ich daheim sein, schaffen wir das? Am besten, wir fahren hier gleich links!“