Monopoly der Fremde

■ Premiere des Theater Leutstetten mit dem märchenhaften Musiktheaterstück 'Die Blaue Stadt' auf Kampnagel

mit dem märchenhaften Musiktheaterstück Die Blaue Stadt auf Kampnagel

Mikrotonale Bratsche-, Keyboard- und Percussionklänge durchziehen zuerst langsam, sich dann beschleunigend, die Halle 4 der Kampnagel-Fabrik. Mogel - männlich, weiblich und Kind zugleich - schreitet ein überdimensionales Monopoly-Feld entlang des Bühnenrandes ab, paßt sich der Frequenz der Musik an und bleibt schließlich schnaubend auf dem mit 40 Millionen Dollar dotierten Westbahnhof stehen. Die Straßennamen wurden zu Ländern. Zwischen der 32 Millonen Dollar teuren Elfenbeinküste und Marokko (56 Millionen) beginnt Mogel zu erzählen. Er ist eben erst angekommen. „Sollte mir das hier gefallen?“, fragt der Emigrant in die ausverkauften Reihen. Immerhin lägen hier keine Leichen herum.

Die blaue Stadt, ein Musiktheaterprojekt des Theaters Leutstetten, erlebte am Mittwoch seine Uraufführung. Drei Künstler - Autorin Barbara Strohschein, Komponist Manfred Stahnke und Regisseur Thomas Matschoß - versuchten in Anlehnung an die 20er Jahre, aus Schauspiel, Literatur und Musik eine neuen Form des Musiktheaters zu formen. Ihr Thema ist das Fremde - „warum fasziniert und erschreckt es zugleich?“

Die blaue Stadt schildert die erfahrungsreiche und zutiefst verwirrende Exkursion eines Individuums durch fremde Welten voll fremdartiger Menschen. Es geht, wie das Künstlerteam sagt, um Sehnsucht, Zauber, Aufhebung von Raum und Zeit, um Bedrohung und Gefahr und um die Phantasie des Möglichen. Mogel sucht menschliche Nähe und - was ersteinmal noch näher liegt - ein schützendes Dach.

Die Musik mit weichen bis dissonanten Melodien und konfusen Percussionelementen basiert auf acht Zahlen und Tönen, auf die bisweilen langgezogene Worte gesetzt werden, aus denen sich wiederum Sätze ergeben. Von der Decke werden an einem Wald aus Metallstangen Buchstaben herabgelassen, die Texte der Schauspieler sind gesprochene Musik.

Mogel begegnet der „allwissenden und koboldhaften“ Alisa, die Mogel unbekannte Orte herbeizaubert und ihn und seine Fremdartigkeit ergründen will. Sie läßt Mogel immer wieder allein. Er muß seine Erfahrungen mit Ordungshütern, Zimmermädchen und Kriminellen machen. Doch auch der Zuschauer scheint alleingelassen und muß sich die losen und abstrakten Szenen selbst erschließen oder zu dem Schluß kommen, daß es nichts zu verstehen, sondern nur zu erfahren gibt. Bisweilen jedoch ist man lediglich verwirrt.

Menschen, die Mogel im Park trifft und ihm nicht bei der Suche nach Unterkunft helfen, sind — ohne, daß er es merkt – seine Eltern und werden dann zu Polizisten, die das Träumen verbieten oder bösen Hotelbesitzerinnen. Die überraschende Suche nach einem Kürbis wirkt dann schließlich wie die hunderttausendste eben noch ins Stück gestopfte Idee, obwohl es laut Strohschein kein avantgardistisches abstraktes Spiel sein sollte. Genau das war es leider doch. Zudem enttäuschen Mignon Remé und Christiane Rheinfurth als Mogel und Alisa. Zwei Bravos und ein verhaltenes Buh - viel hat diese Inszenierung nicht bewegt. Gregor Gerlach