Atommüll-Politik wider alle Vernunft

■ Die rot-grüne Regierung in Hannover hat den Atomausstieg versprochen, aber die Atommüllanlagen von Gorleben werden nicht zu den Akten gelegt

werden nicht zu den Akten gelegt.

Seit Monaten rumort es in der Atomgemeinde Gorleben. Mit ihrem Vorschlag für einen neuen Atomkonsens haben die Chefs der Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke (RWE) und der Vereinigung Elektrizitäts- und Bergwerkbau (Veba), zwei der größten deutschen Atomstromunternehmen, für eine erneute Diskussion über die Zukunft der Atomanlagen in der wendländischen Gemeinde gesorgt. Nur wenige Tage später kündigte sich der erste Transport von Brennelementen in sogenannten Castor-Behältern für das Zwischenlager an. Und schließlich ließ die rot-grüne Landesregierung am vergangenen Dienstag eine Blockade von über 500 Anti-Atom- Demonstranten in Gorleben von der Polizei räumen. Unter Einsatz von Schlagstöcken und Tränengas prügelte die niedersächsische Polizei vier Atomtransportern den Weg ins Zwischenlager für leicht- und mittelaktive Atomabfälle frei (die taz berichtete).

Trotz der erklärten Absicht, den Atomausstieg durchsetzen zu wollen, ist die rot-grüne Regierung in Hannover in den vergangenen zweieinhalb Jahren diesem Ziel kaum einen Schritt nähergekommen. Im Gegenteil: Daß ein rot-grünes Kabinett gegen die eigene Basis mit Tränengas und Schlagstock vorgeht, macht deutlich, wie weit der Ausstieg noch entfernt ist.

Gleich vier der für das deutsche Atomprogramm unabdingbaren Anlagen sind heute auf der Gemarkung des kaum 700 Einwohner zählenden Ortes in Planung, im Bau oder schon fertiggestellt:

Ø das in der „Erkundungsphase“ befindliche Endlager für den hochradioaktiven Atommüll,

Ø ein Zwischenlager für leicht- und mittelradioaktive Abfälle,

Ø ein weiteres Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente, das sogenannte Castor-Lager,

Ø die im Bau befindliche Pilotkonditionierungsanlage (PKA), in der erprobt werden soll, wie der Atommüll endlagergerecht für Tausende von Jahren sicher verpackt werden kann.

Die beiden Zwischenlager sowie die PKA sind Anlagen der privaten „Brennelementlager Gorleben GmbH“ (BLG), einem Tochterunternehmen der „Gesellschaft für Nuklear Service“ (GNS), an der alle Atomstromunternehmen beteiligt sind. Beispielsweise die Hamburgischen Electricitätswerke mit fünf Prozent.

Wo Anfang der achtziger Jahre der Anti-Atom-Widerstand mit der Besetzung des Bohrloches 1004 und der Errichtung eines Hüttendorfes weltweit für Aufsehen sorgte, stehen heute von Betonwänden, Wasserkanonen und Stacheldraht geschützt zwei Bohrtürme. Seit Jahren wühlen sich deren Bohrer durch das Gestein, wodurch Erkenntnisse darüber gewonnen werden sollen, ob der unter Gorleben liegende Salzstock als Atomendlager geeignet ist.

Für viele Experten ein unnötiges Unterfangen, denn der Salzstock gilt ihnen als nicht ausreichend sicher. Bei der Standortwahl in den siebziger Jahren stand Gorleben auf einer Liste von über 20 möglichen Lagerorten nicht einmal unter den ersten drei. Doch die damalige Lage Gorlebens im Zonenrandgebiet und die überwiegend bäuerliche Bevölkerungsstruktur im Kreis Lüchow-Dannenberg ließ keinen Widerstand erwarten. Selbst Mitarbeiter der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, die im Auftrag der Bundesregierung das Erkundungsbergwerk betreibt, lassen in Gesprächen durchblicken, daß es geeignetere Salzstöcke gibt. Denn die Ablagerung in Gorleben ist geologisch noch aktiv.

Das Endlager soll im Jahr 2008 fertig sein

Die Bergleute sahen sich während der gesamten Zeit des Abteufens mit erheblichen Problemen konfrontiert. Im Sommer 1987 kam es im Schacht 1 zu einem schweren Unfall, als der unterirdische Gebirgsdruck einen Stahlring aus seiner Halterung riß. Ein Bergmann kam ums Leben. Um einen weiteren Einbruch zu verhindern, mußte die Sohle meterdick mit Beton aufgefüllt werden, monatelang standen die Bohrer still.

Kaum hatten die Betreiber mit einer Verstärkung der Stahlringe den Gebirgsdruck in den Griff bekommen, kam es zu Laugeneinbrüchen. Mehrere Liter Wasser pro Stunde drangen ab einer Tiefe von 296 Metern in das Loch ein. Wieder brauchten die Experten Monate, bis sie auch dieses Problem gelöst hatten.

Jetzt sind die Bohrköpfe in Tiefen von rund 350 Metern beim Schacht 1 und von rund 300 Metern im Schacht 2 angelangt. Geplant ist vorerst, in beiden Schächten Fundamente in etwa 350 Metern einzuziehen. Später sollen die Schächte bis über 800 Meter abgeteuft werden. In dieser Tiefe sollen dann die eigentlichen Stollen für das Endlager gegraben werden.

Schon heute liegen die Endlagerbauer aufgrund immer wiederkehrender Probleme hinter ihrem Zeitplan zurück. Derzeit geht man von einer Inbetriebnahme im Jahr 2008 aus. Allerdings hätten die Bauarbeiten am 31. Dezember letzten Jahres eingestellt werden müssen. Denn an diesem Tag lief die Genehmigung für die Erkundungsarbeiten, den sogenannten Rahmenbetriebsplan, aus. Doch in letzter Minute erlaubte die rot-grüne Regierung, daß die Arbeiten an den beiden Schächten bis zum Ende dieses Jahres fortgeführt werden können, bis sie standfest gemacht worden sind, der Innenausbau also abgeschlossen ist, damit die Bohrlöcher nicht einstürzen und kein Wasser eindringen kann.

Rolf Meyer, Öffentlichkeitsarbeiter der Endlagergesellschaft, hofft, daß diese Arbeiten bis zum Ende des Sommers beendet sein werden. Was die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg ärgert, erfreut die Betreiber. Nun können sich die Unternehmen in aller Ruhe auf das anstehende Planfeststellungsverfahren inklusive Umweltverträglichkeitsprüfung vorbereiten. Denn um einen neuen Betriebsplan zu erhalten, ist dieses Verfahren zwingend vorgeschrieben. Aber ohne die Genehmigung, den Innenausbau der Schächte vornehmen zu dürfen, hätten die beiden Bohrlöcher das Ende der etwa sechs Jahre dauernden Planfeststellung mit Sicherheit nicht erlebt, sie wären innerhalb kürzester Zeit verschüttet worden.

Doch ob Gorleben tatsächlich irgendwann einmal als Endlager für hochradioaktiven Atommüll dienen wird, hängt nur noch sehr begrenzt von geologischen Fragen ab. So wie die Entscheidung für Gorleben als Standort gegen alle wissenschaftliche Vernunft vor allem politisch motiviert war, so wird auch das Ende der Anlagen möglicherweise politisch besiegelt werden.

Anfang Dezember vergangenen Jahres war ein Brief der Vorsitzenden von RWE und Veba bekannt geworden. Darin signalisieren Friedhelm Gieske (RWE) und Klaus Piltz (Veba) die Bereitschaft, auf Gorleben als Endlager zu verzichten, wenn sich die SPD zuvor an der Suche nach einem anderen Standort beteiligt. Diese Offerte ist eingebunden in das Bemühen der beiden Stromkonzerne und des niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder um einen neuen „Atomenergie-Konsens“. Ob es dazu kommen wird, soll sich nach dem Willen der Stromkonzerne bis zum Sommer herausstellen.

1Völlig unklar ist die Zukunft der noch im Bau befindlichen Pilotkonditionierungs-Anlage (PKA). Umstritten ist diese Anlage vor allem, weil hier auch Brennelemente zersägt werden sollen. Dadurch würden sämtliche Spaltprodukte, die sich während des Reaktorbetriebes in den Hüllrohren der Brennstäbe gebildet haben, freigesetzt.

Testanlage für Verpackungskünstler

Nach Auffassung der Bürgerinitiative ein völlig unnötiger Verfahrensschritt, der radioaktive Belastungen der Umwelt mit sich bringt, wie sie sonst nur in der Umgebung von Wiederaufarbeitungsanlagen auftreten. Die Rohbauten der PKA sollen noch in diesem Jahr fertiggestellt sein. Dann müßte das Umweltministerium unter der Führung von Monika Griefahn (SPD) über die zweite Errichtungsgenehmigung entscheiden.

Der Antrag dazu liegt dem Ministerium jedenfalls vor. Ob die Bemühungen um einen Atomenergiekonsens für die PKA Gorleben das Aus bedeutet, ist bloße Spekulation. Kritiker betonen immer wieder, daß die PKA nur einen Sinn hat, wenn sie direkt am Endlager steht. Sollte Gorleben jedoch als Endlagerort fallen, dann dürfte auch die PKA überflüssig sein.

Die BLG sieht dies jedoch anders: In der PKA sollen lediglich die Verpackungsverfahren für die Endlagerung erprobt werden. Deshalb sei die Entscheidung für oder gegen Gorleben als Endlager völlig unabhängig vom Bau der PKA. Ob dies auch diejenigen so sehen, die über einen Atomkonsens befinden werden, ist zumindest fraglich.

Während die Inbetriebnahme des Endlagers und der PKA für die Atomwirtschaft noch Zukunftsmusik ist, spielen die beiden Zwischenlager in Gorleben schon heute eine überaus wichtige Rolle. So ist

1das sogenannte Faßlager derzeit neben den kraftwerkseigenen Lagerstätten der einzige Zufluchtsort für den leicht- und mittelaktiven Atommüll. Denn auch beim geplanten Endlager für diesen Müll rennt die Atomindustrie ihrem Zeitplan hinterher. Mit einigen Jahren Verspätung findet derzeit erst das Erörterungsverfahren für das im Schacht Konrad bei Salzgitter geplante Endlager für den leichtaktiven Müll statt.

Das Faßlager in Gorleben ist schon zu mehr als der Hälfte gefüllt. Im Herbst vergangenen Jahres stellte die BLG den Antrag für den Neubau einer weiteren Lagerhalle. Für Kenner der Atommüllproblematik ein deutlicher Hinweis, daß der Atomindustrie der Müll schon bis Oberkante Unterlippe steht. Und obwohl es sich eigentlich um den relativ harmloseren Atommüll handelt, hat auch das Faßlager schon erhebliche Skandale hinter sich.

Im belgischen Mol — von dort kam auch der Transport vom vergangenen Dienstag — war 1987 einer der bisher größten Atomskandale aufgeflogen: Auf Betreiben der deutschen Unternehmen Transnuklear und Nukem ist dort Atommüll unterschiedlichster Art und Herkunft — darunter auch Plutonium — miteinander vermischt und falsch deklariert in die Bundesrepublik zurückgeschickt worden.

Über 300 dieser Fässer kamen auch nach Gorleben, und bis heute sind Behörden und Forschungseinrichtungen damit befaßt, den tatsächlichen Inhalt der Behälter zu ermitteln. Für die Lagerung von plutoniumhaltigem Atommüll gibt es im Faßlager Gorleben jedenfalls keine Genehmigung.

Auch die „Blähfässer“ sind im Wendland nicht vergessen: Ebenfalls 1987 kam heraus, daß zahlreiche Fässer aufgedunsen und einige sogar geplatzt waren.

Angesichts derartiger Schlampe-

1reien und Pantschereien ist es kein Wunder, daß die Bürgerinitiative auch heute den Versicherungen der Betreiber nicht glauben mag, mit dem Atommüll sei nun alles in Ordnung. Die am Dienstag eingelagerten sechs Fässer sollen flüssige Abfälle enthalten, die in Mol von 1985 bis 1987 lediglich zwischengelagert worden seien. Ob dies zutrifft, oder ob nicht doch anderer Atommüll dazugerührt wurde, weiß kein Mensch. Noch über 20 dieser Mol-Transporte werden in den kommenden Monaten in Gorleben erwartet.

Für Ende letzten Jahres war die Einlagerung des ersten mit abgebrannten Brennelementen beladenen Castorbehälters in Gorleben geplant. Die dafür vorgesehene Halle der BLG steht seit 1984 betriebsbereit gleich neben dem Faßlager. Doch immer wieder war es den Anti-Atom-Initiativen gelungen, die Pläne der Atomunternehmen zu durchkreuzen.

Politik mit dem neuen Atomkonsens

So auch im vergangenen Dezember. Nachdem das Umweltministerium in Hannover zunächst erklärt hatte, Transporte mit Castorbehältern nicht verhindern zu können, bereiteten die Atomkraftgegner bundesweit Blockaden vor. Bereits am Ausgangspunkt, dem Akw Gundremmingen in Bayern, sollte der Abtransport verhindert werden. Der Druck der Initiativen und die Sorge, daß die Inbetriebnahme des bis dato leeren Lagers die proklamierte Anti-Atompolitik der rot- grünen Regierung endgültig blamieren würde, veranlaßten den niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder, die Angelegenheit zur Chefsache zu machen. Er schrieb an RWE-Chef Gieske, daß ein Transport nicht geeignet sei, die Bemühungen um einen Energiekonsens voranzubringen. Schröder war erfolgreich. Der Antrag für die Einlagerung von hochradioaktivem Müll wurde zurückgezogen — das Castor-Zwischenlager steht weiter leer.

Kommt es aber zu einem neuen Energiekonsens im Sinne von Schröder und RWE, bedeutet dies die sichere Inbetriebnahme des Castor-Lagers. Kernpunkt dieses Konsenses soll der Ausstieg aus der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente sein. Statt dessen sollen diese künftig „direkt endgelagert“ werden. Da es ein geeignetes Endlager aber auf absehbare Zeit nicht geben wird, sollen Zwischenlager geschaffen werden. Das Castor-Lager in Gorleben wird innerhalb kürzester Zeit mit Brennelementen vollgestellt sein. Es sei denn, der Widerstand im Wendland führt abermals dazu, daß eine Landesregierung eine solche Anlage für politisch nicht durchsetzbar erklären muß. Dirk Seifert