Variationen über Romy Schneider

Etüde über drei Möglichkeiten: Alain Cavaliers „Kampf auf der Insel“ von 1962 wiederentdeckt  ■ Von Rolf Schüler

Alain Cavalier, der bei Louis Malle gelernt hat und der zwischenzeitlich fast vergessen war, bis er 1986 mit „Thérèse“ wieder auf sich aufmerksam gemacht hat, zeigt nun seinen ersten Spielfilm. Im „Kampf auf der Insel“ taucht vieles auf, was wir aus berühmteren Filmen jener Zeit kennen. Jean-Louis Trintignant scheint direkt Malles „Fahrstuhl zum Schafott“ entstiegen, Henri Serre aus Truffauts Dreieck in „Jules und Jim“. Die formale Konstruktion dreier heterogener Teile, die rückhaltlose Romantik des Mittelabschnitts erinnern an Malles „Liebende“, und die Schnittechnik wirkt bisweilen wie von Godard. Doch was ist eine Urheberschaft im Vergleich zu den großartigen Variationen über Romy Schneider, für die Cavalier die Anleihen braucht?

Clément (Jean-Louis Trintignant) hat seine Schwierigkeiten, Anne (Romy Schneider) nach Hause zu bringen. Sie ist leicht beschwipst, fahrig und geistreich, das Gegenteil seiner gefaßten Gewalt. Er haßt diese Verspieltheit, auch ihr offenes Begehren, das der Alkohol seinem strangulierenden Zugriff entzieht. Clément telefoniert mit seinem Vater, Romy Schneider tanzt derweil einen Walzer solo und macht für Augenblicke die einsame Pariser Wohnung zum Wiener Hof. Ein hastiger Bildwechsel faßt die drei Menschen zusammen und rückt sie zugleich weit voneinander. Die außerordentliche elliptische und diskontinuierliche Montage ist wie ein Kommentar zur unheilvollen Beziehung zweier Menschen, die in verschiedenen Bahnen leben. Romy Schneiders sanften, selbstverliebten Bewegungen tut die kalt-sezierende Manier des Films hier spürbar Gewalt an. Andererseits ist dieser harte Stil durch die Szenerie gerechtfertigt. Anne sinkt ermattet auf dem Sofa nieder und ergibt sich Cléments stummer Gewalt.

Clément, Sohn eines Industriellen und Mitglied einer nationalistischen Terrororganisation, bereitet minutiös den Anschlag auf einen Gewerkschaftsführer vor. Zusammen mit Serge, dem Kopf der Gruppe, bringt er eine Bazooka auf dem Dach in Stellung. Clément schießt. Doch das Opfer war nur eine Puppe. Ausgerechnet sein väterlicher Freund Serge hat den Anschlag verraten und sich nach Argentinien abgesetzt. Clément muß untertauchen. Mit Anne findet er Zuflucht bei seinem Jugendfreund Paul, der in einer idyllischen Mühle an der Seine lebt und für die Gewerkschaft arbeitet. Daß Pauls Mühle Annes Rettungsinsel werden könnte, ist sofort deutlich, weil ihr Behagen in dieser ruhigen Umgebung spürbar ist. Clément ist hier der Fremdkörper.

„Kampf auf der Insel“ ist eine Etüde über drei Möglichkeiten: Anne und Clément oder Anne, Clément und Paul oder Anne und Paul. Die Konstellationen korrespondieren mit drei Formen des Kinos: Existenzdrama, Romanze und Abenteuerfilm. Eines Abends sitzen die drei Menschen zusammen. Clément erinnert an die Blutsbrüderschaft der beiden Männer. Sie ballen ihre Fäuste und pressen ihre Handgelenke aufeinander: „A la vie, à la mort!“ Anne wird von den beiden Fäusten verdeckt. Irgendwann wird der Kampf um Anne unvermeidlich sein.

Clément läßt Anne bei Paul zurück. Er reist nach Buenos Aires, um sich an Serge zu rächen. Anne wird krank. Dank der liebevollen Pflege von Pauls Nichte Cécile erholt sie sich. Sie will nach Paris zurück. Paul reist ihr nach. In einem Kahn auf der Seine fahren sie zurück und hören Musik von Mozart. Hier löst sich der Film vollkommen von seinem bisherigen Rhythmus. Die Aufnahmen werden impressiv. Bilder der sanft vorbeiziehenden Flußlandschaft, von Romy Schneiders gelöstem Gesicht und Henri Serres starker Ruhe fließen ineinander zu einer Apotheose des Glücks. Dieser schöne Moment, der sich erhebt aus dem unruhigen Fluß des Films, ist gleichwohl nicht vorstellbar ohne ein Davor und Danach, weil die bukolische Idylle auf der Seine sich genau aus der Geographie des Films zwischen Paris und der Mühle ergibt. Vorgefundene Schönheit liiert sich mit dem Zauber, der Verliebte plötzlich alles mit anderen Augen sehen läßt. Die Liebe rechtfertigt jede Heftigkeit des Umschwungs, ja ohne diesen Wechsel der Tonart wäre sie wohl unerfahrbar. Bilder vom Wasser, vom Dahintreiben evozieren Momente aus den großen Filmen Renoirs und Vigos, die aus der Zeit führten, um in den Lauf zurückzuströmen, nicht ohne dem Fluß eine neue Farbe gegeben zu haben. Die Liebenden treiben auf die Mühle zu, deren Rad seinen Antrieb aus eben jenem Fluß zieht.

Anne nimmt ihren Beruf wieder auf, sie spielt Theater, was ihr Clément untersagt hatte. Und sie wird schwanger. Während einer dramatischen Reise nach Genf entschließt sie sich, das Kind von Paul zu bekommen. Doch die Zeit des Glücks ist nur geborgt. Clément kommt zurück und fordert Paul zum Duell. Noch einmal findet der Film zurück zu Cléments Regeln. Paul kann sich nicht entziehen. Der finale Kampf auf der Insel ist ein Stück Abenteuerkino, ein abermaliger Rhythmuswechsel. Beinahe verspielt läßt Clément vor dem Kampf seinen Hut fallen. Wie sich die beiden Männer gegenseitig verwunden und nie ganz die mythologischen Regeln des Schießens vergessen [Welche sind das? d. säzzer], läßt Anne wieder an den Rand des Geschehens rücken. Eine männliche Übergabe der Frau findet hier statt, die absurd ist, weil es ihrer nicht mehr bedürfte. Anne wartet in der Mühle. Wenn sie den verwundeten Paul in die Arme nimmt, sehen wir zwei Überlebende, an denen die Zeit nicht spurlos vorübergegangen ist. Die glücklichen Tage sind eingeschlossen in diesem Familienbild.

„Kampf auf der Insel“: Bis zum 3.2. im Eiszeit und bis zum 27.1. im Checkpoint.