Zwischen den Rillen
: Keine Wirklichkeit außerhalb des Ghettos

■ Immer noch „the nigger you love to hate“: Ice Cube als „The Predator“

Ice Cube ist in Amerika zur Zeit populärer als Jesus. „The Predator“ hat als erstes Rap-Album seit den Unruhen in Los Angeles die Spitze der amerikanischen Charts erreicht. „The nigger you love to hate“ (Selbstcharakterisierung) verkauft sich besser als sein braver Gegenentwurf Michael Jackson.

Doch freuen wird sich Ice Cube darüber kaum. Anders als im Falle der Kommerzialisierung von Punk hat HipHop trotz Mega-selling seine Aussagen eher noch verschärft – und damit deutlich gemacht, daß die weißen Vorstellungen vom Kapitalismus, der jedwede Dissidenz zu integrieren weiß, in der black community auf Granit beißen. Das Bewußtsein bestimmt das Sein – diese von Hardlinern wie Public Enemy bereits vor sieben Jahren eingeschlagene Denkart hat sich von Ice-T über N.W.A. bis hin zu Ice Cube nicht gewandelt; was im Rap-Kontext eine dezidierte Hinwendung an fundamentalistische Theorien des Islam nach sich zog – unter Beibehaltung expliziter Gangster-Lyrics.

Von daher sollte man den allgegenwärtigen Hinweis auf die gewünschte parental guidance weniger als Jugendverbot verstehen. Über „fuck“ und „bitches“ wissen die Kids ohnehin Bescheid, wer aber erklärt ihnen die Bedeutung von Louis Farrakhan? Oder dessen Grundstatuten zur Nation of Islam (die auf „The Predator“ recycelt werden)? Zudem hat Rap-Musik sich in ihrem Selbstverständnis niemals als minoritär eingeschätzt, sondern vielmehr die Position eines Sprachrohrs der Mehrheit der schwarzen Bevölkerung betont und ausgebaut. Eine Marginalisierung des HipHop, wie sie in den Medien stattfindet (MTV bringt täglich nur eine halbe Stunde Yo! MTV Raps), wirkt angesichts der Splittergruppen von Hardcore, Roots- und urbanem College-Rap mehr als anachronistisch: rassistisch. „The Predator“ scheint sich eben deshalb massenweise zu verkaufen, weil Ice Cube von einer wie auch immer gearteten Parteinahme für oder gegen eine Einzelgruppe abläßt. Statt dessen zielt er an allen kulturellen Konnotationen des weißen Mittelstands (Reihenhaus, Fernseher, Familie) vorbei. „It's like a jungle“, wie Grandmaster Flash schon vor Jahren rappte – auch und gerade in South Central; und wenn Ice Cube von hier aus gegen Frauen, Schwule und Bullen hetzt, dann tut er dies in einer Sprache, die mit dem allgemein gebräuchlichen Wortschatz der weißen Bevölkerung Amerikas außer ein paar Flüchen nur wenig gemeinsam hat. Was auf der einen Seite als street knowledge im Ghetto die Runde macht, kommt jenseits der Demarkationslinie als bloße Gangster-Rhetorik oder – noch schlimmer – als subproletarische Kunstform an: der frivole Neger von der Straße.

Ice Cube läßt denn auch nicht von ungefähr im Sample-Fragment „Integration (insert)“ – mit der Betonung auf insert (Einwurf) – einen Farbigen das verständnisvolle Mißverständnis schwarzer Sprache im weißen Diskurs beenden: „Wissen Sie, es ist interessant, wie hier Weiße in einer Runde sitzen und denken können, ich hätte meine Gründe, sie zu belügen. Als ob sie so mächtig und wunderbar wären, daß ich mich meiner Worte so sehr schämen müßte, sie zu verdrehen und zu ,säubern‘. Sie haben es aber nicht mit diesem Typus Mensch zu tun. Sie haben es mit jemandem zu tun, der meint, was er sagt, und der sagt, was er denkt.“

Es hilft nichts: Wie bei den meisten Rap-Platten handelt es sich auch bei den Lyrics auf „The Predator“ nicht um eine Rhetorik der Vernunft, sondern um verbale Bestandteile einer Politik, die weniger eine Frage der vollendeten Lesbarkeit als des ausbleibenden Handlungsspielraums aufwirft. Ice Cube spricht nicht von dem unlösbaren Konflikt schwarzer und weißer „Lebenswelten“, deren Clinch in einer gemäßigten Wortwahl sich in Wohlgefallen auflösen könnte – eine Richtung, in die die Debatte mit der Akzeptanz der links-alternativen Disposable Heroes of Hiphoprisy bei gleichzeitigem Verbot der „Cop-Killer“-Single von Ice- T/Body Count abzudriften gedroht hatte.

Ice Cube bezieht seine Lyrics allein auf das (und aus dem) Ghetto, wobei dort die zur Sprache kommende Gewalt im eigentlichen (platonischen) Wortsinn symbolisch, nämlich gemäß einer vorausgehenden Teilung stattfindet. Genau kalkuliert lassen sich reihenweise (Hollywood-)Filmtitel von „Gorillas in the Mist“ bis zum besagten „Predator“ als eingestreute Zitate wiederfinden: Filme, in denen sich die Stigmatisierung des imaginär Anderen ausdrückt, für das im amerikanischen Alltag die schwarze Kultur unverändert einsteht.

Ice Cube will damit nicht Angst verbreiten, sondern Wut. Insofern ist auch eine wörtliche Interpretation einiger Texte als frauenfeindlich, rassistisch oder homophob zumindest problematisch, weil sie den Stellenwert des Signifikanten mit dem des Signifikats verwechselt. Die Gewalt wird in einen symbolischen Rahmen gesetzt, der sie als Produkt, als Problem und Knoten diskutierbar macht – ohne sie vorschnell lösen zu wollen. Zu Recht weist der Rapper in „I'm scared“ oder „Who got the Camera?“ darauf hin, daß sich auf eine kritische Äußerung seitens Farbiger immer eine Gegenrede unter Einbeziehung von pacifiers wie Martin Luther King finden läßt, während die Objektivierung schwarzer Lebensbedingungen und aller damit verbundenen Repressionen nach wie vor ausgeklammert wird.

Der Fall Rodney King und die anschließenden riots bestätigen jene Regel, der Ice Cube auf „The Predator“ zumindest die Sprache entzieht. Für ihn gibt es keine Wirklichkeit außerhalb des Ghettos, die nicht auf diesem Widerspruch gründet, den er selbst als Danksagung noch in den credits formuliert: „You say Ice Cube is a problem – well you're right, he's two people in the same body, one African, one American. I see myself through the eyes of Africa and I will continue to speak as an African. I will become an African American when America gives up opression of my people. KEEP RAP LEGAL.“

Der letzte Satz muß angesichts des Charterfolgs von „The Predator“ weniger absurd denn bedenklich erscheinen. Harald Fricke

Ice Cube: „The Predator“. (Priority/Aris).