■ Portrait
: Ahmet Güler

Geht man von dem Glaubenssatz „Das Sein bestimmt das Bewußtsein“ aus, läßt sich Ahmet Gülers Werdegang gut nachvollziehen. In der alten Hafenstadt Trabzon am östlichen Schwarzmeer geboren, lernt er schon früh ganz Anatolien – Ost und West, Stadt und Land – kennen, da sein Vater als Berufsoffizier jedes dritte Jahr versetzt wird und die Familie ihm folgt. Für das Kind und den Schüler Ahmet Güler sind dies glückliche, abwechslungsreiche Jahre. Das Mosaik der Völker Anatoliens – Türken, Kurden, Zaza, Araber, Lasen, nomadisierende Türkmenen, Tscherkesen – hinterläßt Farbtupfer in seinen Kindheitserinnerungen. Die ständige Konfrontation mit Neuem – anderen Menschen, neuen Orten, neuen Lebensstilen – prägt ihn, weckt seine Neugierde und fördert seine Aufgeschlossenheit gegenüber dem Fremden.

In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre studiert Ahmet an der angesehenen Hacettepe Universität in Ankara Wirtschaftswissenschaft. Die Studentenschaft ist – zwischen zwei Militärregimes – intensiv mit Politik beschäftigt, Hacettepe war bekannt dafür. Man sprach mehr über Marx und Lenin, Ho Chi Minh und Enver Hodscha als über Adam Smith und Galbraith. Die Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Gruppierungen sieht Ahmet als lehrreich an und für ihn persönlich als einen großen Gewinn. Sie haben, so sagt er, seinen Verstand für politische Zusammenhänge geschärft und seine Bereitschaft zum gesellschaftlichen Engagement erhöht. Das unterscheidet ihn heute von dem Typus Unternehmer, der nur hinter der schnellen Mark her ist.

1980 kommt Ahmet nach Göttingen zur Promotion. Nach den bewegten Jahren in der Metropole Ankara wirkt Göttingen wie ein Provinznest, und Ahmet hat keine Schwierigkeiten, sich einzuleben. Aber sein Abschluß wird nicht anerkannt. Er muß vieles nachholen, und Deutschland ist teuer. Er fängt an, nebenbei mit Lederbekleidung aus der Türkei zu handeln.

Zwischen dem kleinen studentischen Nebenerwerb und seiner derzeitigen Firma, die viele Filialen besitzt und international von Korea bis Kanada tätig ist, liegt ein weiter Weg. Dieser Weg war sicher keine Asphaltpiste, aber Ahmet ist seit seiner Kindheit Schotterspuren gewohnt. Ob er heute angekommen ist? Er zieht es vor, im Plural zu antworten: „Wir werden hier bleiben“, sagt er. „Die Politiker wollen nicht einsehen, daß Deutschland ein Einwanderungsland geworden ist. Wir sind Einwanderer, die Leistungen erbringen, und wollen als solche behandelt werden.“

Das, meine ich, ist deutlich genug. Kemal Kurt