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Dabeisein war alles

Die Clintons wurden zu ihrem Amtsantritt mit rauschenden Festen gefeiert, zu deren Finanzierung auch traditionell republikanische Spender beitrugen/ An den kommenden Kater mochte niemand denken  ■ Von Andrea Böhm

So einfach geht also ein Machtwechsel vor sich. „Willkommen im neuen Haus“, sprach der Vorgänger zu seinem Nachfolger. Der drückte der Gastgeberin einen Kuß auf die Wange und streichelte noch einmal den Hund. Dann folgte George Bush mit steinerner Miene dem neuen Präsidenten auf das Capitol, ließ die Vereidigungszeremonie über sich ergehen, bis ihn am Ende ein Hubschrauber mitsamt Barbara und Hund Millie in einen neuen Lebensabschnitt flog: den des hochdotierten Pensionärs. Die Clintons winkten. Eine längere Tortur blieb George Bush während der Amtseinführung Clintons erspart. Der nämlich beließ es bei einer Antrittsrede, die ebenso kurz wie schmerzlos war. Ganze 14 Minuten dauerte die Ansprache. Unter Fernsehkommentatoren kursierte sofort die angeblich empirisch belegte Faustregel: Je kürzer die Antrittsrede, desto besser die Amtszeit.

Zur Inaugurationsparade kam Clinton dann aber doch zu spät, weil er bei einem Empfang zwischendurch wieder unzählige Gratulanten an sich drücken oder ihnen wenigstens die Hand schütteln mußte – sehr zum Leidwesen mancher Fans aus dem Volke. Die ersten hatten sich schon gegen 8 Uhr morgens an der Route der Präsidentenlimousine aufgestellt und wiesen bald deutliche Anzeichen von Unterkühlung auf: rote Nasen, bläuliche Lippen, eiskalte Finger und Füße, die erst wieder erwärmt wurden, als gegen 2 Uhr 30 der Autokonvoi im Kriechtempo auf dem Weg vom Capitol zur Paradenloge die Pennsylvania Avenue entlangrollte. Da geriet die Menge, vorher mit Unmengen von nationalen Winkelementen ausgestattet, in verzückten Jubel, wie er in Deutschland keinem Politiker zuteil würde, höchstens dem deutschen Fußballmeister. Der Vergleich hinkt auch insofern, als man in Washington keine Polizisten in Kampfanzügen sah, auch keine Mannschaftswagen oder gar Wasserwerfer in den Seitenstraßen, die notfalls bei Ausschreitungen eingreifen würden. Bei solchen Anlässen wird in den USA nicht getrunken, nicht gegrölt und schon gar nicht protestiert oder demonstriert. Ein paar handgemalte Schildchen mit der Aufschrift „Keine Bomben auf den Irak“ oder „Keine neuen Steuern“ ragten am Straßenrand zaghaft aus dem Meer von US-Fähnchen hervor. Hier muß ein Präsident keine Angst vor Farbeiern oder faulen Tomaten haben; hier muß er höchstens befürchten, erschossen zu werden. Die Beamten des „Secret Service“ dürften vermutlich feuchte Hände bekommen haben, als ihr Schützling die Wagentür öffnete, um gemeinsam mit Ehefrau Hillary die letzten paar Meter zu Fuß zurückzulegen. Die Herren mit dem Knopf im Ohr atmeten erst wieder auf, als Clinton hinter kugelsicherem Glas Platz genommen hatte, um „die Parade abzunehmen“.

Die ist beileibe keine militärische Angelegenheit, auch wenn das Militär mit diversen Kapellen vertreten ist, sondern eine Mischung aus High-School-Abschlußfeier, Karneval und patriotisch eingefärbtem Geschichtsunterricht. Es gab Pferde und Reiter in allen Variationen – angefangen von der Delegation eines Minipony-Vereins über die Vereinigung der „Internationalen Reiterinnen im Damensitz“ bis zu Ben Nighthorse Campbell, erster indianischer Senator in der US-Geschichte, der sich nicht entblödete, hoch zu Roß und in Kriegsbemalung seinen Oberhäuptling mit erhobenem Speer zu grüßen. Preisgekrönte High-School-Bands durften ebenso defilieren wie Miss Arkansas im knallroten Abendkleid. Dann marschierte die sichtbar zu dünn gekleidete Delegation des US-Territoriums Samoa auf; Illinois ließ sich unter anderem durch Bodenakrobaten repräsentieren, Alaska durch die „Barron Eskimo Dancers“. Es folgten Delegationen des „U.S. Peace Corps“, der Marines, der Aids-Aktivisten, dann ein ganzer Zugwagen mit schlanken und fetten Elvis-Presley-Imitatoren; die Umweltschützer entsandten Kinderdelegationen und ein solargetriebenes Auto, das vom Design her an eine Kreuzung aus Küchenschabe und Stealth-Bomber erinnerte und der Parade neben all den Kostümen aus Revolutionszeiten einen futuristischen Anstrich verlieh.

Eine Million Menschen, so letzte Schätzungen der Veranstalter, standen am Straßenrand und klatschten. Die Auserwählten, die vormarschieren durften, hatten in den Monaten zuvor nicht nur eisern geübt, sondern auch zu Hause in Ohio, Nebraska oder Maine mehrere zehntausend Dollar gesammelt, um die Reise nach Washington überhaupt finanzieren zu können. Dabeisein ist alles.

Trotzdem mischten sich in die Feier- und Karnevalsstimmung einige Wermutstropfen, als sich herausstellte, daß nur 15 Prozent der Karten für die Sitzplätze bei der Parade dem Volke zum Kauf angeboten wurden. „Put People First“ lautete zwar der Titel des Wahlprogramms von Bill Clinton und Al Gore, doch den Vorzug erhielten vor allem die Leute, die zu den FOBH, den „Friends of Bill and Hillary“ gehören – oder solche, die es werden wollen. Die vier Buchstaben (das H wird in der US- Presse noch häufig unterschlagen) sind Synonym für den neuen Insider-Kreis in der Hauptstadt. Wer jemanden kennt, der jemanden kennt, der mit Bill oder Hillary zur Schule gegangen ist, hat vielleicht Chancen auf einen Job, auf Informationen aus dem Machtzentrum oder wenigstens auf eine Karte für die Parade oder einen der zahlreichen Inaugurationsbälle – gegen den vergleichsweise bescheidenen Unkostenbeitrag von 125 Dollar.

Unter anderem mit dem Verkauf der Tickets glaubt das Inaugurationskomitee die Unkosten der Feierlichkeiten decken zu können. Die werden inzwischen auf über 25 Millionen Dollar geschätzt, könnten am Ende aber leicht die 30-Millionen-Grenze übersteigen – und damit den bisherigen von George Bush gehaltenen Rekord. Ob der Festrausch durch die Ereignisse der kommenden Jahre gerechtfertigt wird, muß sich zeigen. Die symbolbeladenen Inszenierungen der vergangenen Tage haben jedenfalls eines gezeigt: die Demokraten mit Prominenz aus der Rockszene, Hollywood und zahlreichen sozialen Bewegungen im Schlepptau haben der Rechten das Monopol auf den Patriotismus abgejagt. Die New York Times sprach süffisant vom Aufstieg einer „religiösen Linken“.

Private Gönner und Wirtschaftskonzerne haben bei diesem Unternehmen mit kleinen Geschenken in Höhe von 2,5 Millionen Dollar und 17 Millionen Dollar in Form von zinslosen Krediten zur Seite gestanden. Zu den großzügigsten Spendern für die Inaugurationsfeiern zählen die Telefongesellschaft AT&T, Shell, General Electric, der Brauereikonzern Anheuser-Busch und Ted Turner. Auch Firmen, die traditionell auf republikanische Konten überwiesen, lassen sich inzwischen auf den Spendenlisten der Demokraten eintragen.

Zwar wollte dieser Tage niemand so recht die gute Stimmung stören, doch einige Verbraucherorganisationen und Gegner privatwirtschaftlicher Lobbygruppen wie das „Center for Responsive Politics“ meldeten Bedenken an und fragten, wie das wohl mit Clintons Kampfansage an big money in der Politik zu vereinbaren sei. Gar nicht, lautet die Antwort.

Es mag die Kritiker trösten, daß selbst gute Verbindungen in den FOBH-Dunstkreis und ein dicker Geldbeutel oft nicht ausreichten, um sich auf einem der Bälle sehen zu lassen. Im Washingtoner Omnishore-Hotel, wo mehrere Südstaaten zur Live-Musik von Willie Nelson den Amtsantritt von Clinton feierten, hatte das geschäftstüchtige Festkomitee so viele Tickets verkauft, daß die Türen gegen 10 Uhr 30 aus feuerpolizeilichen Gründen geschlossen wurden und sich mehrere hundert Gäste mit wachsendem Unmut in der Lobby stauten. „Jetzt habe ich 6.000 Dollar rausgeschmissen“, knurrte ein Demokrat aus Alabama, der mit Gattin zum Ball angereist und offenbar nicht im billigsten Hotel abgestiegen war, „nur um mir hier die Beine in den Bauch zu stehen.“

Ob und wieviel er versäumt hat, wird der Mann nie herausfinden. An der Spitze der Hitliste der wahrhaft wichtigen Feste stand ohnehin der MTV-Ball, gefolgt von den „Inaugural Balls“ der Bundesstaaten Arkansas und Tennessee und dem „Triangel Ball“ der Lesben- und Schwulengruppen. Da wurde getanzt und gefeiert, als hätte Bill Clinton sein Coming-out bekanntgegeben. Neben Tuxedos, Smokings und Abendkleidern sah man auch einige Uniformen der Navy, Air Force oder U.S. Army, deren Inhaber deutlich signalisierten, was Lesben und Schwule unmittelbar nach seinem Amtsantritt von Bill Clinton erwarten: die Aufhebung des Banns gegen Homosexuelle in der Armee, die er versprochen hat. Die Euphorie dürfte in diesem Fall verfrüht sein. Zu erwarten ist eher eine typische Clinton-Taktik: im Prinzip ja, aber jetzt noch nicht.

Am Ende dieses Tages blieb die Frage, wie ihn wohl all die aufrechten Republikaner überstanden haben, die sich nicht bei der Gegenseite anbiedern wollten, um mitzufeiern. Da gab's nur eines: ein Gebet für den scheidenden Präsidenten, der samt Gattin Barbara und Hund Millie ein letztes Mal vom Präsidentenflugzeug, der „Air Force One“, in Houston abgesetzt wurde. Und dann Channel 26 einschalten: Da wurden noch einmal die Antrittsreden von Ronald Reagan und George Bush ausgestrahlt. Minderheitenprogramm. Vorerst.

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