Ungarn: Für eine genetisch reine Nation

Auf dem heute beginnenden Parteitag des MDF, der größten ungarischen Regierungspartei, will der Schriftsteller István Csurka sein nationalistisches Programm durchsetzen  ■ Aus Budapest Keno Verseck

„Die ruhige Kraft“ lautete ein Slogan des Ungarischen Demokratischen Forums (MDF) bei den Parlamentswahlen 1990. Vielleicht hat der ungarische Ministerpräsident und MDF-Vorsitzende József Antall dieses Motto zu wörtlich genommen, als er sich vor einem halben Jahr nur vorsichtig von dem politischen Abenteurertum seines Parteirivalen István Csurka distanzierte. Der nämlich hat für den heute beginnenden MDF-Parteitag nicht nur die Zukunft der größten Regierungspartei Ungarns in die Waagschale geworfen. Vom Ausgang des Machtkampfes der beiden Politiker hängt auch die innen- und außenpolitische Orientierung des Landes ab.

Am 20.August 1992 hatte Csurka sein nationalistisch-antisemitisches Manifest veröffentlicht. Der unter den Kommunisten mit zwei Literaturpreisen ausgezeichnete Schriftsteller verlangte darin, daß sein Land, anknüpfend an die volkstümliche Tradition der 30er und 40er Jahre, den „Ungarischen Weg“ einschlagen solle, ein Weg, der in der profaschistischen Horthy-Diktatur endete.

Daneben löste Csurkas Forderung nach mehr „Lebensraum für Ungarn“ bei Teilen des MDF, der ungarischen liberalen Opposition und den Medien einen Proteststurm aus. Antall hingegen wies die Inhalte des Pamphletes erst Tage später und auch nur halbherzig zurück. Der Parteichef wollte dem ohnehin von internen Streitigkeiten geschwächten MDF nicht noch eine kräftige Zerreißprobe zumuten. Mit der Hoffnung, im stillen Ordnung schaffen zu können, ließ er den ursprünglich für November angesetzten Parteitag kurzerhand auf Januar verlegen.

Csurka und seine Anhänger indessen haben diese Zeit genutzt, um unter der MDF-Basis zu mobilisieren. Dem wortgewaltigen Schriftsteller ist dabei durchaus aufgefallen, daß seine Popularität unter MDF-Mitgliedern sank, nachdem sein antisemitisches Manifest erschienen war. In einer zweiten Denkschrift legte er seine Akzente daher nun auf einen rigiden nationalen, antikommunistischen Antikapitalismus, dessen Zielscheibe ausländische Investoren, der IWF und die EG sind.

Das dürfte die Stimmung der vielen MDF-Mitglieder am ehesten treffen. Drei Jahre nach Ende der kommunistischen Herrschaft verschlechtert sich die soziale Lage im Land noch immer. Mittlerweile sind fast 700.000 Menschen, mehr als zwölf Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung, arbeitslos.

Zugute gekommen sind Csurka an der Basis auch seit langem schwelende Konflikte zwischen den MDF-Fraktionen: Der populistisch-nationale Flügel, auf dessen Initiative hin die Partei 1988 gegründet wurde und als dessen Führer Csurka mittlerweile auftritt, mußte nach den Wahlen zusehen, wie Antalls Christdemokraten sowie die Nationalliberalen die meisten Positionen in Parlament, Regierung und Parteispitze besetzen. Bei deren politischen Konzepten – die Vernüpfung christlich-konservativ-nationaler Werte mit einer schnellen europäischen Integration sowie gemäßigte Wirtschaftsreformen – hatte Csurkas Flügel kaum ein Wort mitzureden.

Von dem Parteitag verlangt Csurka nun nicht mehr und nicht weniger, als daß sein Gedankengut in das neue MDF-Statut aufgenommen wird. Dazu gehört für ihn auch eine „anständige, ungarische Presse“, eine „patriotische und nicht ungarnfeindliche Opposition“ und eine „gesunde, fremdenfreie und genetisch reine Nation“. Auf die Kandidatur für das Amt des Parteivorsitzenden verzichtet der Schriftsteller zwar vorerst, weil es derzeit gegen Antall nicht durchsetzbar scheint, das Amt des Ministerpräsidenten und Parteivorsitzenden zwischen zwei Personen aufzuteilen.

Trotzdem fühlte sich Csurka stark genug, dem Regierungschef nunmehr auch offen den Krieg zu erklären. Ein Artikel in seiner Hauspostille Magyar Fórum attestiert Antall, die „politische Popularität verloren“ zu haben und den „politischen Erfolg des MDF zu behindern“. Eine Behauptung, die auf den ersten Blick zutrifft, tatsächlich liegt das MDF, das bei den Wahlen 44 Prozent der Stimmen gewonnen hatte, inzwischen bei 7 Prozent. Meinungsumfragen haben jedoch gezeigt, daß 63 Prozent der Ungarn Csurkas Programm entschieden ablehnen, 12 Prozent stimmen ihm zu. Antall drohte gestern schließlich den Rücktritt seiner Regierung an, falls der Parteitag nicht ein MDF-Präsidium wähle, mit dem er zusammenarbeiten könne. Csurka seinerseits plant für den Fall, daß seine Forderungen nicht in das MDF-Programm aufgenommen werden, bereits die Einberufung eines Sonderparteitags. Integration oder Spaltung, das ist für das MDF nun die Frage.