"Ehe in getrennten Schlafzimmern"

■ Über die Mediale und die Synthese von Kunst und Kommerz sprachen die Organisatoren Thomas Wegner und Petra von der Osten-Sacken

und die Synthese von Kunst und Kommerz sprachen die Organisatoren Thomas Wegner und Petra von der Osten-Sacken

In zwei Wochen, am 5. Februar, startet das erste Hamburger Medien-Festival „Mediale“. An dem Programm von über 80 Veranstaltungen — Ausstellungen, Musik, Theater, Film — beteiligen sich rund 20 Hamburger Kulturinstitute in einem achtwöchigen Marathon. Die Stadt läßt 1,35 Millionen Mark springen. Angesichts des hohen technischen Aufwands und inklusive der Naturalienspenden von Sponsoren liegen die Kosten nach Schätzungen der Veranstalter zwischen fünf und sechs Millionen Mark. Die taz sprach mit Mediale-Initiator und Ex-Elektronikfachhändler Thomas Wegner und Mediale-Geschäftsführerin und Ex-Kunsthaus- Chefin Petra von der Osten-Sacken über das gewaltige Projekt.

Wie entstand die Idee der Mediale?

Wegner: Die Initiative geht zurück auf Wulf Herzogenrath, den heutigen Hauptkustos der Berliner Nationalgalerie. Herzogenrath war damals, vor einigen Jahren, Leiter

des Kunstvereins in Köln und hat dort eine Ausstellung mit dem Titel „Videoskulptur“ gemacht, eine Retrospektive der Videokunst. Das war die Zeit, in der Herr Körber entschieden hatte, daß die Deichtorhallen restauriert und der Stadt für Ausstellungszwecke geschenkt werden. So entstand die Idee, eine solche Ausstellung in Hamburg zu zeigen. Ich hoffte von Anfang an, daß ein Festival daraus entstehen könnte, was schließlich mit der Hilfe von Ingo von Münch zu einem klaren Konzept verdichtet wurde.

Braucht Hamburg noch ein Festival?

Wegner: In Hamburg fehlt ein Festival, das zu uns paßt. Hamburg ist eine Medienstadt, rund 22 Prozent der Arbeitsplätze hängen von den Medien ab. Insofern bietet es sich an, Medien in irgendeiner, auch abstrakter Form darzustellen.

Es geht auch durchaus darum, die kommerziellen Einflüsse auf die Medien einzubeziehen. Kunst und Kommerz passen eigentlich nicht zusammen — wie zwei Menschen, die grundsätzlich verschieden sind und dennoch miteinander auskommen müssen. Bei uns gehen sie eine Ehe ein, allerdings in getrennten Schlafzimmern, um nicht einander hörig zu werden. Deshalb ist die Medienmesse Art&Fair in der nördlichen Deichtorhalle eines der Herzstücke der Mediale. Firmen wie IBM, Apple, Sony, Telecom und Philips präsentieren dort Innovationen der Zukunft, wie zum Beispiel die Foto-CD von Philips.

Also ein gigantisches Spektakel der elektronischen Medien?

Wegner: Ja. Aber Medien kann man auch in diesem Sinne sehr weit fassen. Schon die alten Ägypter haben beim Bau der Grabmäler das Spiel von Licht und Schatten als künstlerisches Gestaltungsmittel benutzt. So kann man sagen, Licht, Ton, Musik und Video in elementarer, aber auch in hochtechnisierter Form sind die Medien, mit denen man als Künstler oder eben auch als Firma arbeitet.

Muß eine Auseinandersetzung mit der Mediengesellschaft nicht über die Präsentation der technischen Mittel und Möglichkeiten und ihrer Entwicklung hinausgehen?

Wegner: Da muß man unterscheiden zwischen den Ausstellungen, dem Theater und Musikveranstaltungen der Mediale. Die Symposien im Literaturhaus widmen sich ja genau den kritischen Fragen der Mediengesellschaft. Auch Peter Brook, dessen Inszenierung „Impressionen von Pelleas“ im Schauspielhaus Premiere hat, macht ein

Theater der Basis, weil er behauptet, daß das Theater viel zu stark von den Medien beeinflußt ist. Die ganze Bandbreite verschiedener Ansätze soll nebeneinander gezeigt werden, und die Selektion soll jeder für sich vornehmen.

Acht Wochen Festival sind eine lange Zeit. Können Sie uns etwas über die Dramaturgie der Mediale sagen?

v.d.Osten-Sacken: Die Mediale als Festival hat ihre Hauptzeit zwischen dem 5. und 10. Februar 1993. In dieser Zeit findet in der nördlichen Deichtorhalle die Medialemesse statt. Alle anderen Veranstaltungsorte eröffnen ihre Ausstellungen, die Theater haben Premieren. Sonderveranstaltungen wie Performances oder ähnliches werden in diesem Zeitraum gezeigt. Die Laufzeit der verschiedenen Veranstaltungen zieht sich bis Ende März hin. Das Symposium im Literaturhaus haben wir bewußt Ende März angesetzt, um die Chance für eine kritische, reflektive Diskussion zu haben.

Welches Publikum erwarten Sie?

Wegner: Zunächst mal alle Menschen, die sich Neugier und Fantasie bewahrt haben. Kunst soll ja auch kein Ghetto sein. Durch das breite Spektrum der Veranstaltungen erreichen wir ja auch ein nicht nur allein kunstinteressiertes Publikum, sondern auch die Computerkids zum Beispiel.

Nämlich da, wo das Programm zum gehobenen Freitzeitvergnügen wird?

Wegner: Warum nicht. Ich finde es nicht schlimm, Menschen zu unterhalten. Wir zeigen elementare und anspruchsvolle Kunst, zum Teil auch spektakulär. Das muß nicht immer ein Gegensatz sein. Und um noch einmal auf das Verhältnis Kunst und Kommerz zurückzukommen: Die Gestaltung der Medienmesse ist nur eine kleine Facette, trotzdem hat sie einen sehr dominanten Effekt: Sie wird nämlich von Robert Wilson inszeniert. Und es ist sehr ungewöhnlich, daß eine kommerzielle Veranstaltung von einem Künstler inszeniert wird. Da wird man sehen können, auch diejenigen, denen das nicht schmeckt, daß es funktioniert, Kunst und Kommerz zueinanderzuführen, ohne daß es stört.

Aber gerade Robert Wilson, der ja geradezu als Zugpferd der Mediale eingesetzt wird, ist unserer Meinung nach kein begnadeter bildender Künstler.

v.d. Osten-Sacken: Er ist ja auch mehr inszenierend tätig. Das Gesicht, das er Art&Fair geben wird, ist vom Vorhaben her mehr mit der Gestaltung einer Bühne zu vergleichen.

Wie kam die Kooperation von so vielen Institutionen zustande? Sind die alle zu Ihnen gekommen?

Wegner: (lacht) Das wäre zu

1schön.

v.d. Osten-Sacken: Das hat es in der Tat noch nicht gegeben, daß alle kulturellen Institutionen einer Stadt sich zu einem Thema zugleich zusammenfinden und nicht nur ihre Räumlichkeiten, sondern teilweise auch Mittel aus ihrem Etat zur Verfügung stellen.

Wie heißt das Geheimnis Ihres Erfolgs?

Wegner: Das lag auch an dem Thema selbst, weil es vielleicht einfach ein bißchen in der Luft lag.

Die Ausstellungen bedürfen insgesamt eines enormen technischen Equipments. Wie wird dieses „logistische“ Problem im einzelnen gelöst?

Wegner: Grundsätzlich sind alle beteiligten Institutionen für ihre jeweiligen Ausstellungen selbst zuständig. Das heißt, sie wählen die Künstler aus und besorgen das entsprechende Equipment. In einigen Projekten sind ja auch Firmen direkt beteilgt. Das Museum für Kunst und Gewerbe zum Beispiel hat mit Blaupunkt eine Art Vertrag abgeschlossen. Philips und Lufthansa haben sich sehr stark für die Vier-Elemente-Ausstellung engagiert, mit mehr als paar technischen Geräten.

Wie werden denn die Sponsoren auf dem Festival in Erscheinung treten?

v.d. Osten-Sacken: Die Mediale hat ja von Beginn an das Prinzip der Patenschaft verfolgt. Ein Sponsor wird auf ein Projekt besonders angesprochen, für das er dann die Patenschaft übernimmt. Das kostet ihn Geld. Der Sponsor/ Pate identifiziert sich aber mit „seinem“ Projekt und hat die Möglichkeit, sich über den Inhalt der Veranstaltung darzustellen. Die direkte 1

2Werbung der Firmen mit Logos etcetera tritt dadurch eher in den Hintergrund. Obgleich wir — weiß Gott — keine Berührungsängste haben. Wir haben sogar eine Ausstellung unter dem Titel „Pixel“ im Museum für Kunst und Gewerbe, die sich mit dem Thema, Logo, Design und Selbstdarstellung, zum Beispiel der verschiedenen Fernsehsender, beschäftigt.

Nach welchem Schlüssel haben Sie denn die 1,35 Millionen von der Stadt an die Projekte verteilt?

Wegner: Es war natürlich nicht möglich, alle Projekte zu finanzieren. Wir haben nach qualitativen Kriterien entschieden und dann nach dem Aufwand, der benötigt wurde. Manche Projekte, wie das Konzert mit drei europäischen Orchestern, mußten wir auch sterben lassen, weil sie zu teuer gewesen wären. Dann war zu klären, wie die einzelnen Institutionen beschaffen sind, wieviel oder wenig Geld sie haben. Zum Beispiel für die Ausstellung von Brian Eno in der Markthalle hat es eine Hauptfinanzierung gegeben, auch für das Tanztheaterstück „Titanic“ auf Kampnagel — allerdings hier mit der Unterstützung von Phillip Morris.

Es gibt ein Europa-Lied, eine Europa-CD und noch viel mehr Europa. Welche Rolle spielt die Idee Europa?

Wegner: Wir haben damals vor drei Jahren natürlich auch einen Anlaß für das Festival gesucht und wollten an das Jahr, in dem innerhalb der EG die Grenzen fallen, so nah ran wie möglich. Wir haben dann den ersten praktikablen Termin genommen, den 5. Februar. Wir haben den europäischen Begriff aber auch mit Leben gefüllt. Der amerikanische Künstler Bill Fontana installiert zum Beispiel eine Klangachse zwischen St. Petersburg und

1Marseille. Beide sind Partnerstädte von Hamburg. Die Salutschüsse, die jeden Mittag in St. Petersburg abgefeuert werden, hört man live auf dem Jungfernstieg. Ein Hörspektakel, das Alltagskultur live vermittelt. Und aus Marseille wird das Geschrei der Marktfrauen live übertragen.

Verraten Sie uns Ihr Lieblingsprojekt?

v.d. Osten-Sacken: Ich finde alle Projekte gleich schön. Und ich bewundere gerade die Projekte, die einzelne Künstler oder Künstlergruppen an ungewöhnlichen Orten auf die Beine gestellt haben. Ich denke da an Shimon Atis Projekt am Hauptbahnhof „Trains“, und an

die Cap San Diego. Dort wird eine Künstlergruppe der Kölner Medienhochschule im Schiffsrumpf Datenklänge simulieren. Und vieles, vieles mehr ...

Wegner: Die Arbeit von Bill Fontana mag ich sehr gern. Und ich finde auch eine ganz einfache Sache sehr gut. Yoko Ono wird im Elektronischen Cafe in der Deichtorhalle jeden Tag um ein Uhr den Himmel von New York live übertragen. „Yoko Ono sends to you the Sky of New York.“ Eine direkte Satellitenschaltung zu der Himmelskamera von Reuter-TV in New York.

Bleibt die Mediale-Stiftung nach dem Festival bestehen?

Wegner: Es ist angedacht, daß ein solches Kulturfestival im Vier- Jahres-Zyklus wiederholt wird. Insofern wird die Mediale-Stiftung bestehen bleiben. Aber wir sind bescheiden, und wollen erst einmal abwarten, wie es ankommt.

Die Fragen stellten Mechthild Bausch und Julia Kossmann