Sprudelnde Bildersturzbäche, piepende Monitore

■ Museen, Theater, Galerien, Staatsoper und Planetarium bei der Mediale unter einem Hut / Im Mittelpunkt stehen die Deichtorhallen

unter einem Hut / Im Mittelpunkt stehen die Deichtorhallen

Mit der Mediale wird eine wahre Wundertüte über Hamburg ausgeschüttet. Das Programm verzeichnet bisher über 80 Veranstaltungen: neben zehn Diskussionen und Symposien mehr als 20 Konzerte oder Theaterperformances — Staatsopernpremieren und Vorführungen im Planetarium zählen allerdings mit.

Kultur in Hamburg findet sich im Februar fast komplett im Rahmen des Unternehmens Mediale wieder. Über 50 Veranstaltungen liegen im Bereich der bildenden Künste, und bei etwa der Hälfte sind elektronische Medien, Video und Computer, oder konventionellere Mittel wie Licht, Ton und Film im Einsatz. Dazu gesellen sich aber auch höchst einfache und kontemplative Arbeiten wie die an tibetanische Gebetsfahnen anklingenden „Windformen“ des auf Ibiza lebenden Informellen Eduard Micus auf der Alster am Eichenpark.

Die Mediale fordert die Frage heraus, was das denn sei, ein Medium? Die umfassendste Antwort gibt die zentrale Ausstellung in der südlichen Deichtorhalle. Unter dem Thema „Feuer-Erde-Wasser- Luft“ befassen sich 25 bestrenommierte Künstler mit den vier Elementen. Dabei ist fast jeder Zugang medial, haben doch die Grundbausteine der Welt an sich keine unmittelbare Gestalt. Als Einleitung in die Tradition des Themas zeigen barocke Emblembücher und Stiche die Elemente als personifizierte Allegorien. Auch im zentralen Kreuzraum der Halle piepen noch keine Monitore. Hier inszenieren Klassiker der Moderne die Elemente in ihrer materiellen Erscheinungs-

form: Jannis Kounellis das Feuer, Richard Long die Erde, Klaus Rinke das Wasser und Hans Haacke die Luft. Doch Schwerpunkt der Ausstellung ist die Arbeit mit den neuen immateriellen Medien von Laser (Magdalena Jetelova) bis Cyberspace (Matt Mullican). Der Altmeister der Videokunst Nam June Paik zeigt mit dem zerhackt sprudelnden Bildersturzbach seines „Versailles Fountain“ eine prächtige, geradezu neubarocke Allegorie für die alltägliche Bilderflut. Die als Stilprinzip des Manierismus im 16. Jahrhundert geforderte conjunctio oppositorum, die Einheit der Gegensätze, gäbe auch das Motto für die kreuzförmige Verbindung von Feuer und Wasser, wie sie der Baseler Nives Widauer inszeniert. Die schwitzfreie Betrachtung von Feuer und glühender Lava ermöglicht Marie-Jo Lafontaine in ihrem Video-Vulkan oder David Rokeby in seiner Projektion auf Quarzsand. Marcel Oldenbach sieht das Feuer eher politisch im Zusammenhang mit Rassismus, nicht nur in den USA.

Immer wieder auf die Gefährlichkeit der elektronischen Medien vor allem im militärischen Zusammenhang verweist der Kölner Klaus vom Bruch mit seinen Monitoren zum Thema Weltkrieg. Paul Garrin aus New York erklärt: „Reichtum, Macht und Überkonsum sind automatisch selbstzerstörerisch.“ Für ihn ist der Fortschritt in der Technologie ausschließlich Teil des militärischen Komplexes, dem er sich mit der Anwendung neuester Technik aber nicht ausgeliefert sieht: „Ich arbeite damit, um es zu verändern. Ich mache Bilder, keine Bomben.“ In seinem Raum läßt er vor der Fassade brennender Mittelklasse-Häuser und -Autos auf dem Videoboden computergesteuert einen Pitbull nach dem Passanten schnappen: Je schneller der Besucher geht, desto aggressiver wird der Köter. So wie diese sind einige der Installationen reaktiv, also durch Bewegungen und Sprache des Publikums beeinflußbar.

„Der Betrachter soll sich anders mit dem Medium auseinandersetzen, als es in der guten Stube der Fall ist. Das passive Zuschauen bei bunten Programmen ist hier nicht gefragt. Die Technik verführt ja sehr zum Spielen. Aber die Künstler verwenden sie nicht zur reinen Darstellung der Realität, sondern zur kritischen Befragung ihrer Medien.“ Diese Sätze von Deichtorhallenleiter Zdenek Felix, der zusammen mit dem Medienexperten Wulf Herzogenrath die anspruchsvolle Ausstellung konzipierte, setzen ein erfreulicheres Niveau als die Werbungsversuche und Inszenierungsbemühungen der

ökonomischen Messe der Mediale.

Deren Gestaltung hat der in Hamburg seit langem hartnäckig überschätzte Robert Wilson übernommen. Dem sinnlos in der Binnenalster dümpelnden, gegen die optische Präsenz des Containertores von Jan Deluc doch eher schmächtigen Stahltor soll noch eine Riesentür aus Edelstahl in der Deichtornordhalle folgen: Portal in die schöne neue Welt der elektronischen Medien samt Engelschören und lehmigen Assoziationen an das globale Dorf. Noch lästiger sind die sieben bis zu sieben Meter hohen Blechmatrosen, die in der Stadt herumstehen und im für jedermann lesbarem Signalflaggencode sich anheischig machen, für die Veranstaltung zu werben: Bühnenbild und Werbung in bekannter, oberflächlicher Plünderung einst ernsthafter künstlerischer Entwürfe. Die Mediale gefällt sich in Vergleichen mit documenta und Schleswig-Holstein-Musik-Festival, den wirklichen Stellenwert und die klarere Abgrenzung wird das neu aus der Taufe gehobene Festival erst noch finden.

Ganz klar begrenzt ist der Beitrag der Kunsthalle. In drei je siebenstündigen Marathons wird in der Kuppel ein fortlaufendes Programm von Künstlervideos gezeigt. Beginnend mit der Eröffnungsveranstaltung der documenta 6 von 1976 werden Pioniere des Mediums aus den siebziger Jahren, Dokumente von Performances und von Künstlern selbst gewählte Bänder der aktuellsten Videoszene gezeigt.

Die meisten Galerien haben in ihrem Programm nach Passendem zum Thema gesucht und zeigen Kunst mit Worten (Jürgen Becker), computergestützte Graphik (Meißner), Installation eines elektronischen Spiegelbildes durch Flatz (PPS-Galerie) oder zeigen gleich die Zeichnungen von Robert Wilson (Produzentengalerie). Die Zwiespältigkeiten der neuen Medientechnologien betont der Beitrag des Kunstvereins in seinem provisorischen Quartier an der Michaelisbrücke: Der Amerikaner Jon Kessler kommentiert mit seinen gebastelten, meist mechanischen Apparaturen die moderne Spektakellust. Daß die nun vielleicht alle vier Jahre hier abgefeierten, nicht mehr ganz so neuen elektronischen Medien wirklich Neuland erschließen, bleibt immer noch ein schwer einlösbares Versprechen. Denn nichts ist so überflüssig wie ein avanciertes Mittel ohne das Wissen um seinen Zweck. Im materiellen Neuland Amerika fand Europa vor fünfhundert Jahren für lange Zeit nur wenig wirklich anderes, dafür aber den Zerrspiegel seiner eigenen Obsessionen, im immateriellen Raum kann es kaum anders sein. Hajo Schiff