Neulich...mit Camilla Spira

NEULICH...

... mit Camilla Spira

Es ist kein leichtes Durchkommen mit einer Diva. Höchste Anforderungen an Pathos und Perlwitz sind zu erfüllen. Man muß ein Arsenal von Artigkeitsraketen und Espritböllern dabeihaben, das Ganze nicht zu plump, aber auch nicht zu treffend, denn Knaller zündet die Diva lieber selber. Und unbedingt muß man sie merken lassen, daß sie die Königin unter lauter Pastetchen ist. Gut, mögen Sie einwenden, wer ißt schon mit Diven! Aber manchmal täuscht sich das Schicksal in dir und kommandiert dich zur Abendgestaltung einer Diva ab.

Sie hieß Camilla Spira und war einmal Mutter von Emil Tischbein oder die Rose vom Staatsanwalt. In Bremen sollte sie Heine lesen und war noch aufgelöst vom siebensitzigen Cityhopper; die Spira im Cityhopper, war sie ein Heuschrecke? Oh nein, versicherten wir alle enthusiastisch, aber war nicht vielleicht das Hotel ein bißchen prima? So erster Klasse und so?

H o t e l! Flure wie Kegelbahnen und zuviele Zimmer, einerseits zu groß, andererseits zu klein! Und statt Schlüssel eine Computerkarte — die war doch schon so gut wie verloren!

Im avantgardistisch bis brutalistisch öden Feinschmecklokal fehlte gleich der bestellte Blumenstrauß! Und die Tischdecke! Eben wegen der Moderne! Soll ich hier Pingpongspielen, fragte gefährlich freundlich die Diva und suchte die Garderobiere für den Nerz. Ogott. Und keine Kerzen! Kein Glitzern von herrlichen Gläsern für das Spiegeln vom Schmuck! Keine gebundene Speisekarte! Ist man dafür 86 geworden und hat sich gehalten wie Käthe Kruses Großmutterprinzessin? Und was heißt hier Rote-Bete-oder-Kürbissuppe, ham Sie keine richtige, junger Mann? Wir lachen uns tapfer kaputt, der Wirt findet sich eigentlich ziemlich diventauglich und ist beleidigt.

„Meine Mutter läßt grüßen und hat sie in 'Rosen für den Staatsanwalt' gesehen“, sage ich und bin stolz, daß mir das eingefallen ist. Ein Fehler: Wer hat 'Rosen für den Staatsanwalt' nicht gesehen!! Wir werden alle immer lustiger und bestellen so herzlich wie nie Entenbrust. Das sich anschließende Vakuum füllen wir mit einer Spezialmischung aus Anekdoten und Sottisen.

Endlich kommt das Wasser: Ogott — Zahnputzgläser. Wir schauen nicht hoch, wir beten zum Himmel. Der Wirt stellt die Sprudelflasche dazu, einschenken können wir ja selber bei so vielen. Einzelne, vor allem ich, fliehen zur Toilette. Aber auch der längste Hoffnungsstrahl versiegt mit der Zeit. Also zurück: Frau Spira, gehen Sie eigentlich ins Kino, sehen sie gern fern, wohnen Sie hübsch, was macht Berlin, wie finden Sie Bremen? Wie: Bremen, ist hier Bremen? Naja. Lesen Sie gerne? Nein! Wäre sie noch am Leben, wenn sie tiefschürfend wäre? Ihr Leben hat sie schon 43mal erzählt und ihre Dunkelheiten im Exil, im Lager Westerbork, davon spricht sie nicht mehr.

Der Wein kommt: „Wenigstens Gläser mit Stiel“, sagt sie trocken und wußte noch nicht, daß der Gasherd in der Küche grade ausfiel. Wir warteten so etwa anderthalb Stunden. Als alles vorbei war, fand sie uns überraschend unlangweilig für unser Alter. Da haben wir sie lieben müssen, auch das noch. Claudia Kohlhase