Jazzinsel mit Schwierigkeiten

■ Ortsbesichtigung: Der Badensche Hof in Wilmersdorf

Jazzclubs sind atmosphärisch dichte Inseln für den musikalischen Kurzurlaub vom Alltag – oder sollten es jedenfalls sein. So auch der Badensche Hof. Um 21 Uhr hat man noch eine Chance auf einen Platz, dann beginnt hier gewöhnlich der erste Set. Im jazzig schlichten Ambiente versichern die Portraits einstiger und wiederkehrender Hofstars einem sozusagen von Wand zu Angesicht: man ist angekommen.

Keine HighBrows erwartet man hier, denen ein weißes Tischdeckchen wichtiger ist als das Festmahl für Gaumen und Ohr. Man schielt nicht auf das Neueste von gestern, sondern hält sich an das bewährt Zeitlose. Sprich: Modern Jazz, von einem Clubservice präsentiert, der einlöst, was er verspricht. Und man spürt schon: hier sind Könner und Fans am Werke, die Kommunikation zwischen den Künstlern, Gästen und Wirt am Hofe scheint zu gelingen. Wenn 25 zahlende Gäste den intimen Clubraum beseelen, ist das Konzert ja auch fast schon ausverkauft. Dann kann man sich aber immer noch am langen Tresen im Vorraum schlängeln, im Trottoircafé einen Imbiß zur Zeitungslektüre konsumieren oder dort die Musik einfach Hintergrund für andere Face-to-face-Interaktionen sein lassen – ohne die Musiker zu stören.

Diese drängeln sich derweilen auf der kleinen Clubbühne, freitags und samstags immer. Für ortsübliche Gagen, mit denen man kaum einen Facharbeiter zur Nachtschicht locken könnte, haben hier schon die Namhaftesten der in Berlin lebenden Jazzkünstler gespielt. Benny Bailey, Walter Gauchel und Alexander von Schlippenbach zieren die Starliste von Hans-Hugo Riecks Jazzdomizil ebenso wie Walter Norris, Jay Oliver und Reggie Moore, um nur einige zu nennen. Und wenn die Pianisten sich in letzter Zeit dem Klimperkasten des Hofs zu verweigern beginnen, streifen wir zugleich einen wunden Punkt. Ein solcher Club halte sich langfristig kaum selbst, meint Hofbesitzer Rieck, der hauptberuflich als Grafiker anschafft. Was bleibt, wenn man nicht mehr „in“ ist, wenn man die Durststrecken überdauern gelernt hat, wenn man den Lärmdisput mit den Nachbarn übersteht? Was bleibt, wenn man die Atmosphäre vor dem ständig lauernden Feind Alltagsroutine in Schutz nehmen will. Und: wer bleibt?

Vor siebeneinhalb Jahren war halt vieles anders. Da war man schon was mit dem Badenschen Hof. „In“ und jazzig zudem. Nach der Maueröffnung dann blieben auch hier einige Gäste aus. Zunächst einmal. Dann mußten zeitweilig die Konzerte eingestellt werden, da eine Schallisolierung fehlte. Hier begann der Jazzfan Rieck schon etwas zu zweifeln. Zum Glück teilten Zuständige beim Kultursenat Riecks Befürchtungen, daß nach Schriller und Lohmeyer eine weitere Spielmöglichkeit für Live-Jazz Gefahr lief, klanglos historische Episode zu werden.

Eine fünfstellige Summe machte die notwendige Investition für die Schallisolierung erstmal wett. Seitdem ermahnt eine Leuchtsirene die Musiker zum leisen Spiel (ihr rotes Warnblinken taugt nicht zum Spotlight). Sollte schließlich noch der akustische Alarm einsetzen, wird auch die beste Musik lediglich als Lärm registriert – im Amtsdeutsch der Auflagen zumindest.

Auch wenn das schon den einen oder anderen Musiker hat abtrünnig werden lassen – das gehört halt zum Alltag im Jazzbusiness. Ein Künstler des Clubjazz ist in dieser Stadt ständig mit ähnlichen Unwegbarkeiten konfrontiert. Wenn man in diesen Tagen mal die Musiker zur sogenannten Politik der Berliner Jazzclubs befragt, ist eine Antwort einhellig: Die Gagen stimmen nicht – seit Jahren eingefroren. Selten gehen sie über die unterste dreistellige Grenze hinaus. Für professionelle Jazzer bedeutet das eine ständige Reallohnsenkung, die sie nicht selten unter das Existenzminimum drückt. Eine Situation, die die meisten an das Unterrichtspult in die Musikschulen, in lokale Theatercombos oder zum Verdingen als Partymusiker zwingt.

Dafür weiß Rieck weder Verantwortung zu übernehmen noch Lösung zu nennen. Er versichert, daß mit Jazz eben kein Geld zu verdienen sei, daß man Fan und Idealist sein müsse, wolle man einen Jazzclub führen. Und bescheiden fügt er hinzu, daß ein Laden, der sich Club nennen dürfe, eigentlich auch unter der Woche das Podium besetzen sollte. Er müsse aber schon ständig um die Finanzierung der Wochenend-Gigs ringen.

Dabei rennen ihm die Musiker regelrecht die Türen ein. Zwei-, dreimal die Woche bekomme er Demotapes und Biographisches von Nachwuchsjazzern, die auf ihre Chance warten. Als sehr problematisch sieht er eine Tendenz, die sich im Publikumsverhalten eingestellt hat: daß man sich offenbar daran gewöhnt hat, daß Jazz „frei“ sei.

Wenn die Konsequenzen nicht ähnlich fatal wären, könnte man über dieses symbolisch–kreative Wortspiel vielleicht noch schmunzeln. Doch daß für einen garantierten Sitzplatz in unmittelbarer Bühnennähe einigen noch der Musikanteil zwischen 10 und 15 Mark zu hoch erscheint, ist nicht nur ihm unverständlich. Darüber sollte man einfach mal nachdenken, klagen wolle er aber nicht. Einstweilen scheint der Hof als intimes Modern-Jazz-Domizil vor Ort gerettet, man habe gelernt zu überleben.

Wenn der zweite Set beginnt, wird's im Tresenraum schon mal ziemlich eng. Auch Musiker schauen vorbei, um ihren Kollegen auf der Bühne auf die Finger zu hören. Man trifft sich oder hängt einfach nur rum, auch Volk von außerhalb – der Wilmersdorfer Jazzspot ist allemal eine Reise wert. Christian Broecking

Badenscher Hof, Badensche Straße 29 (Ecke Berliner). Heute: Fuasi Abdul Khaliq Group, 21 Uhr