: "Gefährliche totalitäre Strategien"
■ Thomas Krüger, SPD-Senator für Jugend und Familie, zum Fall Wilhelm Spatz, zur "Gesellschaft zur Förderung der psychologischen Menschenkenntnis" (GFPM) und zu den Gefahren des Sektenwesens
Wilhelm Spatz, für Ausländer zuständiger hoher Beamter, hatte als Vorstand der obskuren GFPM einen FU-Professor unter Druck gesetzt, ein Tutorium über Sekten abzusagen. Zum Sektenwesen Fragen an den Jugendsenator.
taz: Herr Krüger, was halten Sie davon, daß ein Regierungsdirektor der Innenbehörde im Vorstand eines Vereins agiert, den viele als „rechte Psychosekte“ geißeln?
Thomas Krüger: Die Unterscheidung von privater und öffentlicher Sphäre muß schon gemacht werden. Wenn Wilhelm Spatz allerdings als Vorstand dieses Vereins und als Regierungsdirektor bei der FU vorstellig wird und als Vorstandsmitglied bei meinem Staatssekretär und der Sektenbeauftragten des Senats interveniert, scheint für mich der erste Schritt einer Vermischung von öffentlich und privat gegeben. Man muß hier genau prüfen, ob er einen Schritt zu weit gegangen ist. Es ist ja die Methode des „Vereins zur Förderung der psychologischen Menschenkenntnis“ (VPM) und seines Berliner Ablegers GFPM, sich mit der Autorität eines Amtes Geltung zu verschaffen. Viele Autoritätsgläubige kommen Leuten mit solchen Titeln mit großem Grundvertrauen entgegen. Das ist der erste Schritt dieser Sekte oder Psychogruppe, Menschen einzufangen.
Ist das nicht auch Mißbrauch eines öffentlichen Amtes?
Zumindest finde ich es unmöglich, daß jemand mit solch einem Amt sich in die Zuständigkeiten anderer Verwaltungen einmischt. Das ist ein politisches Problem. Man darf diesen Fall nicht allein juristisch sehen. Wer das tut, spielt den totalitären Strategien von Sekten und Psychogruppen zu und verdrängt die davon ausgehenden Gefahren. Die Strategie dieser Sekten erinnert mich sehr stark an die Überlegungen des italienischen Marxisten Antonio Gramsci, wie die kulturelle Hegemonie zu erkämpfen sei. Er ist auf zweierlei Weise rezipiert worden: auf totalitäre Weise von den Kommunisten und Anfang der 70er Jahren von den Konservativen. Ich weiß allerdings nicht, ob jemand aus der VPM Gramsci gelesen hat.
Die Innenbehörde verteidigt ihren Mann mit dem Argument, Herr Spatz habe die Briefe der GFPM nur als „Regierungsdirektor“ und nicht als „Regierungsdirektor der Innenbehörde“ unterzeichnet. Können Sie sich vorstellen, daß so jemand morgens beim Betreten einer Behörde seine Geisteshaltung an der Garderobe abgibt?
Nein, das kann ich nicht. Es darf nicht sein, daß in einem so brisanten Feld wie der Ausländerpolitik ein Entscheidungsträger mit einem solchen geistigen Hintergrund agiert. Ich glaube, daß totalitäre Gruppierungen, die Menschen unterwerfen, diesen Menschen Verhaltensrichtlinien in allen Berufs- und Lebenslagen vorgeben. Die Demokratie ist solchen Ansätzen gegenüber leider nicht immer wehrhaft. Sekten und Psychogruppen machen sich sehr oft die Krisensituationen einzelner zunutze. In einer atomisierten Gesellschaft sind Menschen in Krisen besonders gut ansprechbar. Gerade im krisenhaften Osten gibt es viele Anfällige, die die totalitären Kommunikationsformen noch nicht verarbeitet haben und diese in Psychogruppen wiederfinden. Solche Menschen suchen und wollen für sich Hierarchien. Dieser Prozeß des Unterwanderns der Demokratie mit kleinen totalitären Einheiten kann dazu führen, daß die Demokratie mit der Zeit überhaupt nicht mehr kommunikationsfähig ist. Und deshalb sage ich: Rückt nicht vom Prinzip der Aufklärung ab, vom Prinzip der Vernunft.
Ähnlich sehen es wohl auch der Schul- und Gesundheitssenator.
Ein Mitarbeiter der Gesundheitsverwaltung hat ein Gutachten über die VPM und GFPM erstellt und dabei die These vertreten, daß diese die Entwicklungspsychologie Alfred Adlers in sehr einseitiger Weise auslegen, indem sie dessen Prinzipien der pädagogischen Gewalt überbetonen. Diese Gruppen verbinden das bei ihnen produzierte mystifizierte Gemeinschaftsgefühl und die Aktivitäten ihrer Mitglieder in sozial defizitären Feldern wie Schule, Jugendarbeit oder Drogenprävention. Der VPM zum Beispiel hat versucht, massenhaft in drogenpräventive Bereiche einzusteigen und als freier Träger aktiv zu werden. Wir haben das in Berlin abwehren können. Mir ist aber bekannt, daß der VPM in anderen Städten Erfolg gehabt hat.
Diese Leute sind nun leider nicht ohne weiteres zu erkennen. VPM und GFPM scheinen sich zum Prinzip gemacht zu haben, in den ihnen wichtigen Bereichen überall ihre Leute zu plazieren.
So ist es. Es ist sehr auffällig, daß bei diesen beiden Gruppierungen viele Lehrer, Psychologen und Ärzte mitmachen. Also ein Klientel, das aus dem intellektuellen Spektrum kommt und eine glasklare hegemoniale Strategie vertritt. Hier werden Autoritäten geschaffen, die Untergeordneten die endgültige Wahrheit verkünden. Wer die Wahrheiten nicht übernimmt, ist ein Abweichler, wie es im Kommunismus hieß.
Ihnen kommt das bekannt vor?
Wir kennen das alles aus dem, wie mit der DDR-Opposition umgegangen wurde. Viele Züge davon sind wiederzuerkennen, vor allem gegenüber Leuten, die aussteigen wollen. Unsere Sektenbeauftragte kann davon ein Lied singen. Es gibt eine ganz harte kritikfeindliche Tendenz bei VPM und GFPM bis zu Rufmordkampagnen gegen Einzelpersonen.
Hat Ihre Sektenbeauftragte Repressionen erfahren müssen?
Die GFPM versucht gegenüber allen, die Aufklärungsarbeit betreiben, Druck auszuüben. Das betrifft nicht nur Frau Schipmann, sondern auch den kirchlichen Sektenbeauftragten Pfarrer Gandow und im Grunde alle, die zu diesem Thema etwas veröffentlichen. Ein Kritiker in Zürich zum Beispiel wurde in seiner Privatwohnung abgehört. VPM und GFPM überziehen ihre Kritiker mit Klagen und spinnen sie damit in ein Netz ein. Das sind regelrechte psychologische Hetzjagden. Wenn die Gesellschaft da nicht hilft, läßt man die Avantgarde im Kampf mit den Sekten alleine. Wenn man nicht rechtzeitig auf solche Prozesse reagiert, können diese auf Dauer das demokratische Gemeinwesen der europäischen Gesellschaften unterhöhlen.
Schaukeln sich rechtsextreme Tendenzen und das Sektenwesen wechselseitig hoch?
Wir haben keine Anzeichen dafür, daß es ein direktes Zusammenarbeiten gibt. Aber es gibt strukturelle Ähnlichkeiten, die sicherlich viel mit den Gegenbewegungen und Ängsten im Hinblick auf die Modernisierung der Gesellschaft zu tun haben. Bei VPM und GFPM springt eins ins Auge: sie sind aggressiver und offensiver als andere Sekten oder Psychogruppen in Berlin. Scientology zum Beispiel will vor allem die Wirtschaft und die Politik unterwandern, VPM hat sich das sozialpolitische Feld vorgenommen. Und weil wir in einem reichen Staat leben, der viel Geld für soziale Defizite aufwendet, treffen sie genau in einen wunden Punkt.
VPM-Mitglieder sagen selbst, sie hätten für alle Probleme von Schulschwierigkeiten bis zur Ehekrise eine Lösung.
So ist es. Und wer so etwas verkündet, betreibt einen gefährlichen Illusionismus. Probleme wird es immer geben. Die hat man nur dann nicht mehr, wenn man tot ist. Und das sind lebende Tote in den Sekten und Psychogruppen.
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