Historische Heimkehr ins Ungewisse

Tausende Flüchtlinge, die vor Massakern der guatemaltekischen Armee nach Mexiko geflüchtet waren, kehren jetzt triumphal in ihre Heimat zurück/ Mißtrauen des Militärs  ■ Aus Guatemala Ralf Leonhard

Viva Rigoberta Menchu!“ jubelte es aus tausend Kehlen, als die Friedensnobelpreisträgerin an der Spitze des Konvois im mexikanisch-guatemaltekischen Grenzort La Mesilla eintraf. Delegationen aus allen Flüchtlingslagern in Mexiko hatten mit Grußbotschaften Aufstellung genommen, mexikanische Offiziere wieselten wichtigtuerisch herum. Der Bauer Juan Tebalan hielt eine Tafel mit den Namen seiner Frau und Kinder hoch, die seit einem von Guatemalas Armee verübten Massaker vor elf Jahren verschollen sind – er hoffte, daß sie damals nach Mexiko entkommen sein könnten.

Endlich trafen die ersten der vom UNO-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) gecharterten Busse ein. Zu fröhlichen Marimba-Klängen schoben sich 65 Busse mit 2.470 Flüchtlingen und Dutzende Geleitfahrzeuge mit internationalen Delegationen und Journalisten in La Mesilla ein. „Es geht sofort weiter, hier wird nicht ausgestiegen“, ließ einer der Organisatoren ankündigen. Doch kaum war's gesprochen, brach der erste Bus zusammen, der Zug kam ins Stocken und dann standen sie eine Stunde da, unter der sengenden Mittagssonne. Manche Fahrer stellten nicht einmal den Motor ab, die geduldigen Passagiere schoben alle Fenster, die nicht hoffnungslos verklemmt waren, auf und schnappten nach Luft. Trotz allem hatte das Ereignis historische Dimensionen. Nach monatelangem Tauziehen konnte das erste Kontingent von insgesamt 43.000 registrierten guatemaltekischen Flüchtlingen, die zehn oder mehr Jahre in Lagern in Mexiko gelebt hatten, heimkehren. In den letzten Jahren waren zwar bereits über 15.000 individuell repatriiert worden, doch nur in der Masse haben die Flüchtlinge genug Gewicht, um die Bedingungen ihrer Wiedereingliederung aushandeln zu können.

Die von den Delegierten der Flüchtlinge ausgewählte und schließlich auch von der Regierung akzeptierte Strecke führt vom Grenzort La Mesilla über mehr als tausend Kilometer spiralförmig durch das Land. Entlang des Pan- American Highway im dicht besiedelten Hochland bereitete die Bevölkerung seit Wochen Begrüßungsfeiern vor. Die Armee ist begreiflicherweise davon wenig begeistert, denn zwangsläufig kommen damit die Ursachen des Exils wieder zur Sprache: die Massakerpolitik, mit der Guatemalas Militär zu Beginn der achtziger Jahre dem wachsenden Einfluß der Guerilla Herr zu werden versuchte. Das neue Buch „Massaker im Urwald“ des Jesuiten und Uniprofessors Ricardo Falla, das die Ereignisse von damals auf Grund der erschütternden Berichte der Überlebenden rekonstruiert, war wenige Wochen nach seinem Erscheinen vergriffen: die Armee hatte die gesamte Auflage aufgekauft.

Auch der Empfang in Huehuetenango fiel nicht so aus, wie ihn sich die Heimkehrer vorgestellt hatten. Die lange vorbereitete Begrüßung durch die Schüler der Stadt mußte gestrichen werden, weil die staatliche Flüchtlingskommission (CEAR) den Konvoi direkt zu einem Zirkuszelt außerhalb der Stadt schleuste. Nur stillende Mütter und Frauen mit mehreren Kleinkindern genossen das Privileg eines kleinen Einzelzeltes des Roten Kreuzes. Zur Begrüßungsfeier wurden die Honoratioren der Stadt geladen – Kontakt mit der Bevölkerung blieb den Rückkehrern verboten; selbst Verwandte der Repatriierten, die eigens angereist waren, durften mit ihren Angehörigen nur durch den Drahtzaun Kontakt aufnehmen. „Das ist hier wie im Konzentrationslager“, klagte Margarita Lopez von der Ständigen Flüchtlingskommission (CCPP). Da zu wenig Zelte vorbereitet waren, mußten mehrere Familien die eisige Nacht unter Plastikplanen verbringen.

Weder Straße noch Obdach

Der „Poligono 14“, wo 250 der repatriierten Flüchtlingsfamilien angesiedelt werden sollen, ist ein gottverlassenes Gebiet im äußersten Norden der kriegsgeplagten Region Quiche, unmittelbar an der mexikanischen Grenze. Die einzige Straße der Gegend endet in der Ortschaft Santa Clara, einem winzigen Dorf, das vor sechs Jahren von 86 Familien landloser Bauern gegründet wurde. Von dort führt ein unwegsamer Pfad an abschüssigen Hängen entlang etwa zwei Kilometer nach Norden zur künftigen Flüchtlingssiedlung. Alte Leute, Kinder und Haustiere müssen mit all ihrem Hausrat über diese schlüpfrige Strecke. Auch am Baumstamm, auf dem man über den Rio Gavilan balancieren muß, führt kein Weg vorbei.

Der wenig einladende Poligono 14 wurde von den Flüchtlingen ausgewählt, weil er für viele unweit ihrer Heimatdörfer liegt und als Staatsland ohne großen bürokratischen Aufwand parzelliert und auf die neuen Siedler überschrieben werden kann. Dort, wo der Ortskern der neuen Siedlung entstehen soll, kann derzeit nicht einmal ein Hubschrauber landen. Ein Voraustrupp der Repatriierten hat in den letzten Wochen zwei offene Verschläge aus Baumstämmen und Wellblech gezimmert und drei Latrinen ausgehoben. Sonst gibt es keinerlei Wohneinrichtungen. Rundum muß erst Urwald gerodet werden, einzige Trinkwasserquelle ist der fäkalienverseuchte Fluß. Inzwischen geht man davon aus, daß die Flüchtlinge bis zum Ende der Regenzeit in Coban ausharren müssen, wo die asphaltierte Straße endet.

Kaum hundert Meter vor dem Dorf Santa Clara wurde im vergangenen August ein Militärposten errichtet. „Auf Bitte der Einwohner“, wie der diensthabende Hauptmann David Jimenez versichert. Allerdings einer Minderheit: sobald sie sicher sind, daß kein Soldat zuhören kann, erzählen die Bauern, daß das Dorf gespalten ist. Die einen schätzen die Militärpräsenz, weil sie unter dieser Kontrolle nicht in den Verdacht kommen können, mit den nahegelegenen Marihuana-Feldern etwas zu tun zu haben oder gar die Guerilla zu unterstützen. Die anderen meinen, daß die Probleme zugenommen haben, denn seit das Fort aufgebaut wurde, kommt es immer wieder zu Gefechten in der Umgebung.

Erst als die Militarisierung auch vom UNO-Menschenrechtsbeauftragten Christian Tomuschat kritisiert wurde, machte Staatspräsident Serrano einen Rückzieher: der rund 300 Mann starke Posten wird verlegt. Die meisten Einwohner von Santa Clara freuen sich auch über die angekündigten neuen Nachbarn – plötzlich ist ein Arzt und ein Lehrer da und das Landreforminstitut hat jetzt begonnen, jeder Familie ein Stück Ackerland zuzuweisen. Bisher hatte jeder ohne Rechtstitel angebaut, unter Gefahr, jederzeit vertrieben werden zu können.