Bosnien: Serben üben sich in Textexegese

Bei den Genfer Verhandlungen geht es nun um die Grenzen der zehn zukünftigen Provinzen Bosniens/ Serben wollen Prinzipien des Genfer Friedensplans „interpretieren“  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Nach der Zustimmung des selbsternannten serbisch-bosnischen „Parlaments“ zu den von Cyrus Vance und David Owen vorgelegten neun Verfassungsprinzipien für Bosnien-Herzegowina wird heute mittag die vor zehn Tagen unterbrochene Genfer Jugoslawienkonferenz wieder aufgenommen. Auf der Tagesordnung der Verhandlungen stehen jetzt zunächst die vor allem zwischen Muslimen und Serben umstrittenen Grenzen für die von den beiden Konferenzvorsitzenden vorgeschlagenen zehn ethnischen Provinzen, in die das Land unterteilt werden soll. Erst danach soll eine Waffenstillstandsregelung vereinbart werden. Zu den Verhandlungen werden in Genf neben den Führern der drei Kriegsparteien auch die Präsidenten Serbiens und Kroatiens, Slobodan Milošević und Franjo Tudjman, erwartet.

„Die serbische Republik existiert und funktioniert“, erklärte der bosnische Serbenführer Radovan Karadžić mehrfach seit der „Parlaments“-Abstimmung vom letzten Mittwoch und begab sich damit offen in Widerspruch zu den gerade gebilligten neun Verfassungsprinzipien. Der muslimische Präsident Bosniens, Alija Izetbegović, habe hingegen „keinen Staat“. Karadžić betonte, das „Parlament“ hätte bisher „lediglich die Prinzipien“ des Vorschlages von Vance und Owen gebilligt. Der „Außenminister“ der selbsternannten „Serbischen Republik“, Todor Dutinas, nannte diese Prinzipien „einen Text wie den Koran“. Man könne ihn „interpretieren, wie es einem paßt“.

In den Verfassungsprinzipien werden neben dem Staat Bosnien- Herzegowina auch „drei Völker mit Verfassungsrang“ „anerkannt“. Diese Formel sowie ihre Plazierung im ersten der neun Prinzipien war eine Konzession der beiden Konferenzvorsitzenden an Karadžić. In ihrem ersten, Ende Oktober 1992 vorgelegten Verfassungsentwurf hatten Vance und Owen noch den sehr viel weniger formalen Begriff „drei ethnische Gruppen“ verwandt. Karadžić hat jedoch bereits vor der „Parlaments“-Abstimmung deutlich gemacht, wie die Serben unter Berufung auf die Formel von den „drei Völkern mit Verfassungsrang“ ihr Maximalziel vom serbischen Separatstaat umzusetzen gedenken. Zwischen den im Vance/Owen- Plan vorgesehenen drei serbischen Provinzen sollen „sehr enge administrative Verbindungen aufgebaut“ und „sämtliche Lebensbereiche nach denselben Gesetzen geregelt werden“.

Als „unverzichtbare“ Bedingung für ihre Zustimmung zu den Provinzgrenzen fordern bosnisch- serbische Politiker eine territoriale Verbindung („Korridor“) zwischen den beiden den Serben zugedachten Provinzen im Nordwesten und Nordosten Bosniens. Zwischen diesen beiden Gebieten liegt eine an Kroatien angrenzende kroatische Provinz. Sowohl der bosnische Kroatenführer Mate Boban wie auch Kroatiens Präsident Tudjman, die beide das Genfer Abkommen bereits am 4.Januar unterschrieben hatten, lehnen territoriale Konzessionen an die Serben entschieden ab.

Auch Vance und Owen wiesen am Donnerstag diese Forderung der bosnischen Serben zurück. Diese fordern darüber hinaus an vier Stellen Gebiete für sich, die die beiden Vorsitzenden den drei muslimischen Provinzen zugeschlagen haben. Die Muslime verlangen ihrerseits fünf Grenzveränderungen zuungusten der Serben. Zumindest in einem Fall – der Verschiebung der Grenze zwischen der (muslimischen) Provinz Bihać und der (serbischen) Provinz Banja Luka nach Osten und Süden – bezieht sich diese Forderung auf einst von Muslimen bewohnte und inzwischen durch Serben „ethnisch gesäuberte“ Regionen. Bliebe es bei dem von Vance und Owen vorgelegten Kartenentwurf, würden zumindest in diesen Gebieten „ethnische Säuberungen“ von der internationalen Staatengemeinschaft sanktioniert.

Bis zu einer Einigung über die Provinzgrenzen dürfte auch der Krieg weitergehen. Denn erst danach wollen Vance und Owen wieder über einen Waffenstillstand verhandeln. Dieser könne nur nach einer politischen Einigung in Kraft treten, argumentieren sie. Auch Kroatenführer Boban hält ein Kriegsende erst für möglich, wenn alle Seiten das Genfer Abkommen unterschrieben haben.

Doch auch über die Waffenstillstandsbestimmungen könnte es noch einmal langwierige Verhandlungen geben. Zum einen wiedersprechen die Serben einer der wichtigen Detailbestimmungen: dem Abzug schwerer Artilleriewaffen und ihrer Unterstellung unter die „Kontrolle“ der UNO-Soldaten. Unklar ist aber außerdem die zukünftige Stationierung der Streitkräfte. Ausdrücklich festgelegt wurde von Vance und Owen nur, daß in den drei serbischen Provinzen ausschließlich serbische und in der einen kroatischen Provinz in Nordbosnien nur kroatische Soldaten stationiert werden sollen. Hinsichtlich der beiden anderen kroatischen sowie der drei muslimischen Provinzen überließen es die beiden Konferenzvorsitzenden jedoch „den beiden betroffenen Seiten, sich zu einigen“. Diese Unsicherheit ist eine Ursache für die wachsenden Spannungen zwischen Kroaten und Muslimen, die sich im Lauf dieser Woche in Gefechten in der Region um Gornji Vakuf, 130 Kilometer westlich von Sarajevo entluden.

Selbst wenn es nach der Zustimmung aller Kriegsparteien zu den Verfassungsprinzipien auch zu einer Einigung über die Provinzgrenzen und eine Waffenstillstandsregelung kommen sollte, droht weitere Verzögerung. Karadžić will die bosnischen Serben dann in einem Referendum über das ganze Paket abstimmen lassen. Eigentlich können die beiden von UNO und EG beauftragten Konferenzvorsitzenden dies aus prinzipiellen Gründen nicht zulassen. Doch nachdem die internationale Staatengemeinschaft in den letzten Tagen durch geduldiges Zuwarten bereits das selbsternannte „Parlament“ der bosnischen Serben aufgewertet hat, kann sie kaum mehr prinzipielle Einwände gegen ein Referendum vorbringen.

Ghali weist Vorwürfe zurück

UN-Generalsekretär Butros Ghali hat Vorwürfe zurückgewiesen, die Soldaten der UNO hätten die Erschießung des stellvertretenden bosnischen Ministerpräsidenten Turajlić am 8.Januar verhindern müssen. Es sei die Tat einer allein handelnden Person gewesen, heißt es in einem Brief Ghalis an den UN-Sicherheitsrat. Turajlić war auf dem Rückweg vom Sarajevoer Flughafen in einem Fahrzeug der UN-Schutztruppen von einem serbischen Milizionär erschossen worden.