Haft für Recherche in Kurdistan

■ Türkisches Staatssicherheitsgericht verurteilt deutschen Journalisten zu 45 Monaten Gefängnis

Berlin (taz) – Das Staatssicherheitsgericht in Diyarbakir hat ein Exempel gegen kritischen Journalismus statuiert: Wegen „Unterstützung einer bewaffneten Bande“ verurteilte es gestern den 28jährigen Journalisten Stephan Waldberg zu drei Jahren und 9 Monaten Haft. Der Mitarbeiter von „Radio Dreyeckland“, der im vergangenen Herbst in Türkisch- und in Irakisch-Kurdistan recherchiert hat, ist nach Ansicht der Richter ein Kurier der Arbeiterpartei Kurdistans, PKK.

Waldberg war am 23.Oktober am Grenzübergang zum Nordirak festgenommen und zehn Tage lang unter Folter verhört worden. In der Verhandlung führte er aus, wie ihm in der Polizeihaft die Augen verbunden und Folter und Hinrichtung angedroht wurden. Außerdem mußte er die Folterschreie von Mitgefangenen anhören. Für die Richter mag nicht ganz belanglos gewesen sein, daß der türkische Geheimdienst von Kurden im Irak auf den angeblichen Agenten Waldberg aufmerksam gemacht worden war. Erst daraufhin war er verhaftet worden.

In drei Verhandlungen nahm das Gericht das entlastende Material der Verteidigung kaum zur Kenntnis. Das einzige konkrete Beweisstück blieb ein ungeöffneter Brief, den der Journalist in einem PKK-Lager an sich genommen hatte, um ihn an eine Solidaritätsveranstaltung in der Bundesrepublik weiterzuleiten.

Obwohl bisher der Fall in der türkischen Öffentlichkeit keine besondere Beachtung fand, dürfte nun für Presseorgane wie Hürriyet und Tercüman der Nachweis erbracht sein, daß Deutschland und die Deutschen die separatistische Bewegung im Südosten der Türkei unterstützen. Unter ähnlichen Prämissen waren noch am 22.November der für das ZDF arbeitende Michael Enger und sein Dolmetscher Yavuz Fersoglu 72 Stunden lang unter massiven Drohungen verhört worden.

Welche Stimmung in der Region in Bezug auf Ausländer herrscht, wird in einem Artikel von Milliyet deutlich, der zur Denunziation von „zweckentfremdeten Aktivitäten“ auffordert und eine Reihe von angeblichen Spionen namentlich nennt. Darunter auch eine deutsche Journalistin und eine Bundestagsabgeordnete.

Mit Stephan Waldberg ist für die türkischen Behörden nun der erste deutsche „Agent“ ins Netz gegangen. Das Auswärtige Amt in Bonn, das frühzeitig die Einzelheiten zum Falle von Stephan Waldberg kannte, hat erst zwei Wochen vor Ende des Verfahrens mit einer Demarche offiziellen Protest eingelegt. Vorrangig wurde dabei das schleppende Verfahren kritisiert, da jeweils zwischen zwei und vier Wochen vertagt wurde.

Für Stephan Waldberg kam der Protest jedoch zu spät. Selbst wenn alle Vergünstigungen des Strafvollzuges angewandt werden, muß er noch ein ganzes Jahr in türkischen Gefängnissen zubringen, da er frühestens nach einem Drittel verbüßter Haft entlassen werden kann (von den so errechneten 15 Monaten hat er immerhin schon 3 abgesessen). Ansonsten bleibt nur die Hoffnung auf das Revisionsverfahren. Allerdings würde dies unter den landesüblichen Bedingungen mindestens ein Jahr dauern, so daß sich die Haft von Stephan Waldberg selbst bei einer günstigeren Entscheidung nicht verkürzen würde. Das Auswärtige Amt wartet erstmal den Bericht seiner Botschaft ab. Helmut Oberdiek

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