Englands berühmteste Peitsche macht Urlaub Von Ralf Sotscheck

Kaum hatte Kollege Philippe von der Wahrheit-Redaktion nach Neuigkeiten von „Miss Whiplash“ gefragt, war die Telefonleitung tot. Das machte mich umgehend mißtrauisch: Reicht der Arm des britischen Geheimdienstes bis nach Dublin? Schließlich war „Fräulein Peitschenhieb“ vor neun Tagen verschwunden, nachdem sie angekündigt hatte, die Namen nebst zugehörigen Videofilmen von über 200 Abgeordneten, Lords, Richtern und Geheimdienstlern zu veröffentlichen, die ihre S/M-Dienste in Anspruch genommen hatten. Ihr Auto hatte man auf den Klippen von Beachy Head in Sussex gefunden, einem bei SelbstmörderInnen überaus beliebten Ort.

Ein Anruf bei der Störungsstelle vom Nachbartelefon aus brachte Überraschendes zutage. „Das weiß ich doch längst“, behauptete der Telecom-Angestellte. War er Hellseher? „Sie haben doch selbst hier gestern angerufen und die Störung gemeldet.“ Hatte ich nicht. Warum auch? Aber der Herr ließ sich nicht beirren: „Natürlich haben Sie angerufen“, beharrte er. „Deshalb haben wir einen Techniker zu Ihnen geschickt, der die Leitung zur Zeit repariert.“ Der Mann muß unsichtbar sein, wandte ich ein, da weder im Haus noch auf der Straße eine Menschenseele zu sehen war. „Ach was, wir beschäftigen keine Unsichtbaren“, behauptete der Telecom-Mensch. „Unser Techniker schaufelt im Augenblick die Leitung vor dem Haus frei.“ Er mußte einen Tunnel von der Innenstadt gegraben haben, denn an der Oberfläche war alles ruhig. Fünf Minuten später klingelte das vermeintlich tote Gerät. Am anderen Ende war die Zeitansage. Täuschte ich mich, oder klang die Stimme vom Band tatsächlich hämisch? „Beim nächsten Ton ist es genau acht Uhr.“ In Wirklichkeit war es genau 11 Uhr 30. Wenigstens hat Telecom Sinn für Humor.

Der Recherche nach Lindi St. Clair alias Miss Whiplash stand nun jedenfalls nichts mehr im Weg. „Wir wissen, wo sie ist“, sagte der Pressesprecher von Scotland Yard. „Sie sonnt sich in Florida.“ Die 38jährige hatte ihren eigenen Tod lediglich geschickt inszeniert. Sie hinterließ im Auto eine leere Sektflasche und einen schlammigen, hochhackigen Schuh. Erst eine Stunde vor Abbruch der Suchaktion kam ihr die Polizei auf die Spur. In ihrem Haus fand man nämlich einen Zettel, auf dem sie detailliert die Kosten für einen Trip nach Fort Lauderdale ausgerechnet hatte. Obwohl sie mit falschem Paß und unter falschem Namen reiste, erkannten die Angestellten des Reisebüros sie auch ohne Arbeitskleidung wieder. St. Clair war am Donnerstag offenbar an Bord der „Canberra“ aufgetaucht, die heute auf 90tägige Kreuzfahrt geht. Am Freitag verschwand sie jedoch auch dort wieder. „Ich habe mir solche Sorgen gemacht“, sagte ihre 64jährige Mutter Iris Akin. „Sie kann so ein Luder sein. Wenn sie nicht so dick und unhandlich wäre, würde ich sie übers Knie legen.“ Die Polizei vermutet, daß Miss Whiplash sich wegen Steuerforderungen in Höhe von 112.000 Pfund (ca. 280.000 Mark) aus Großbritannien absetzen wollte. Inzwischen dürfte die Rechnung noch höher sein. „Wir werden zwar keinen Auslieferungsantrag stellen“, gab Scotland Yard bekannt. „Aber wir würden gerne mit ihr über die 100.000 Pfund reden, die die Suchaktion gekostet hat.“