Neuprofilierung links von der "Mitte"

■ betr.: Bündnis 90/Grüne, taz vom 18.1.93

betr.: Bündnis90/Grüne,

taz vom 18.1.93

Die Vereinigung Bündnis90/ Grüne ist also eingetütet. Was fällt der taz dazu ein? Erster Eindruck: der Bilderkasten auf der ersten Seite zeigt nur Männer. Sind Frauen wir Marianne Birthler, Christine Weiske oder Claudia Roth nicht erwähnenswert?

Zweiter Eindruck: Warum sollten zwei explizite Gegner des Zusammenschlusses, Günter Nooke und Konrad Weiß, der eine rechts- „liberal“, der andere konservativ, als „Protagonisten der Vereinigungstage“ gelten? An ihnen wäre der Zusammenschluß fast gescheitert.

Der dritte abgebildete Bündnis-90-Mann möchte die gemeinsame Organisation keinesfalls links der SPD verortet wissen. Ja, wo denn sonst, Herr Poppe?

Die Bürgerbewegungsidee ist, so schmerzlich das auch sein mag, nicht nur in Deutschland gescheitert. Machtpolitische Nutznießer scheinen Apologeten des Neoliberalismus (Václav Klaus) und/oder Rechts-Populisten zu sein. Der Neoliberalismus steht jedoch vor dem Scherbenhaufen der ideologisch-motivierten Wirtschaftspolitik (s.Zusammenbruch der Industrie in Ostdeutschland). Sozialdemokratischer Keynesianismus ist aufgrund der umfangreichen Aufgaben nicht finanzierbar.

Natürlich gibt es keine Neuauflage einer „Sozialismus“-Konzeption bei den Grünen (wie CDU- Sprecher Hintze in offensichtlicher Anlehnung an Nooke, Poppe, Weiß behauptete). Dem konzeptionslosen und ziellosen Experimentieren der Bundesregierung (und der assistierenden SPD) in der Wirtschaftspolitik müssen aber alternative Konzeptionen entgegengehalten werden, die auf in der grün-alternativen Linken geführten Diskussionen basieren: Der ökologische und demokratische Umbau der Industriegesellschaft muß mit der gerechten Verteilung und Neudefinition von Arbeit und einer neuen sozialen Sicherung, die marginalisierten Sozialschichten ermöglicht, ökologisch zu handeln, verknüpft werden.

Linke ökologische Politik heißt, einen neuen sozial-ökologischen Grundkonsens der Gesellschaft vorzubereiten, der eine Alternative zum rechtspopulistischen Trend des sich abschottenden Wohlstandsniveaus der „Mitte“- und „Rechts“-Parteien darstellt.

Das heißt natürlich, daß wir in der Gesellschaft wirken und Politik gestalten wollen und den Ausgangspunkt aller Konzeptionen im „real existierenden Kapitalismus“ sehen. Wenn sich jedoch erweisen sollte, daß die Lösung ökologischer, demokratischer und sozialer Fragen an festverankerten Strukturen und Bedingungen scheitert, Krisen sich in allen drei Bereichen verschärfen (und alles deutet im Moment darauf hin), kann sich das Projekt eines „sozial-ökologischen Gesellschaftsvertrages“ als strukturveränderndes, antikapitalistisches Projekt herausstellen. Warum sollten wir Angst davor haben, nach der Bezugsgröße des „real existierenden Sozialismus“ auch die Bezugsgröße des „real existierenden Kapitalismus“ zu verlieren? Rüdiger Brandt, (Ost-)Berlin