"Keine faschistischen Denkmäler"

■ betr.: "Was fehlt" (...Kopf eines Reiterdenkmals), taz vom 18.1.93

betr.: „Was fehlt“ (...Kopf eines Reiterdenkmals), taz vom 18.1.93

Presseerklärung zur Zerstörung des Hitler-Denkmals in Landstuhl

In der Nacht von Donnerstag, 14.1., auf Freitag, 15.1., haben wir, die Gewaltfreie Aktionsgruppe Clara Wichmann, das nationalistische Hitler-Denkmal in Landstuhl/ Pfalz dadurch zerstört, daß wir den Kopf Hitlers absägten und mitnahmen. Am Kriegerdenkmal haben wir ein Schild mit folgender Aufschrift hinterlassen: „Keine faschistischen Denkmäler!“

Seit dem 12.August 1934 stand auf dem Postplatz der Stadt Landstuhl – zur Zeit der Einweihung hieß der Platz „Adolf-Hitler- Platz“ – unbehelligt ein Kriegerdenkmal für den „Heldentod“ (so die Inschrift) der Gefallenen des Ersten Weltkriegs. Das Denkmal zeigte einen auf einem Pferd betenden Krieger mit abgenommenem Stahlhelm, dessen Kopf eindeutig Adolf Hitlers Gesichtszüge hatte. Damit war das Denkmal in Landstuhl das einzige in der ganzen BRD, das Hitler persönlich abbildete. Der von der damaligen NS-Gauleitung ausgewählte Bildhauer Adolf Bernd nannte das Denkmal 1934 „Im Gebet vor der Schlacht“.

Obwohl viele Landstuhler Bürger/innen wissen, daß das Denkmal ein nationalsozialistisches war und Hitler darstellte, hat die Stadt diese Tatsache bis heute nicht zum kommunalpolitischen Thema gemacht, geschweige denn das Denkmal angesichts der neonazistischen Anschläge in der letzten Zeit abreißen lassen. Mit unserer Aktion stellen wir auch an die Stadt die Frage: warum?

Unsere Aktion ist eine gewaltfreie Aktion. Wenn Menschen – gemäß dem neuen Asylkompromiß der herrschenden Parteien – abgeschoben werden in Länder, in denen sie bedroht sind, dann erleiden sie Gewalt. Sachen aber können keine Gewalt erleiden. Wenn Asylbewerber/innenheime von Neonazis angegriffen werden, dann ist das Gewalt. Das Absägen eines Hitler-Kopfes aus Buntsandstein aber hat mit Gewalt nichts zu tun. Wenn Frauen ständig im Alltag vergewaltigt werden oder in Kriegen wie jetzt in Bosnien massenweise, wonach die Täter oft durch solche Denkmäler noch zu „Helden“ erklärt werden, dann ist das Gewalt. Wenn Landstuhl aber von einem nationalsozialistischen Denkmal befreit wird, dann ist das ein Schritt auf dem Weg in eine gewaltfreie Gesellschaft.

Mit „Heil Hitler“ kündigten die Mörder von Mölln über Telefon ihre Tat an. In Hoyerswerda und Rostock klatschten Bürger/innen den neonazistischen Tätern Beifall. Die Reaktionen auf die Anschläge reichten von Gleichgültigkeit bis zu offener Sympathie. Zu solch einer Stimmungslage in der Bevölkerung, zur Tatsache, daß ein großer Teil der BürgerInnen ein latent neonazistisches Gedankengut hat, konnte es unter anderem auch deshalb kommen, weil mit dem Nationalsozialismus über Jahrzehnte hinweg so umgegangen wurde, daß es statt zu einer konstruktiven Aufarbeitung zur Verdrängung kam. Ein Symbol für diese Kultur der Verdrängung und Gleichgültigkeit der eigenen Geschichte gegenüber war bis heute das Landstuhler Hitler-Denkmal. So gleichgültig, wie die Landstuhler Bürger/innen jahrelang an diesem Denkmal vorbeigegangen oder dort in Busse eingestiegen sind, so gleichgültig haben die Menschen zu Anfang der neonazistischen Anschläge auf Asylbewerber/innen zugeschaut. Diese Gleichgültigkeit der meisten Bürger/innen war überhaupt eine der Grundlagen, auf der die Anschläge möglich wurden. Mit unserer Aktion wollen wir der Gleichgültigkeit gegenüber nationalsozialistischer Kultur ein Ende setzen.

Nicht mehr alle sind heute so gleichgültig geblieben wie zu Anfang der neonazistischen Terrorwelle. Viele haben demonstriert oder mit Lichterketten ihre Betroffenheit gezeigt. Doch heute reicht das nicht mehr aus. Monatelang hat die staatliche Asyldebatte den nazistischen Anschlägen den Boden bereitet. Angesichts der neuen staatlichen Abschottungspolitik gegen Flüchtlinge, die durch den sogenannten „Asylkompromiß“ durchgesetzt werden soll, wollen wir mit dieser Aktion dazu anregen, jetzt den Schritt vom Protest zum Widerstand zu machen. Die Betroffenheit muß zur Tat, zur direkten gewaltfreien Aktion werden, wenn sie sich selbst ernst nehmen will. Niemand kommt als Rassist/in oder Neonazi zur Welt. Aber wenn es die gesellschaftlichen Umstände, die Institutionen und die Symbole der Kultur sind, die Menschen heute dahin beeinflussen, nazistische Anschläge zu verüben, dann müssen diese Umstände, Institutionen und Kultursymbole grundlegend verändert werden, damit diesen Menschen die gesellschaftliche Grundlage für nazistische Angriffe entzogen wird.

Den Rechtsextremismus kennzeichnet ein Bewußtsein, das durch das Landstuhler Denkmal repräsentiert wird: das aufrechte Pferd, die Ehrung der Soldaten des Ersten Weltkriegs („Den Heldentod starben...“) als Voraussetzung für den Zweiten Weltkrieg; Hitler als Feldherr („vor der Schlacht“, obwohl ein Denkmal doch an die Gefallenen „nach“ der Schlacht mahnen sollte), Religion als Segnung des Mordes (auch die Landstuhler Kirchen scheinen sich bis heute nicht am Denkmal zu stören). Wie können Menschen, denen aufgetragen war zu morden und die dafür ermordet wurden, im nachhinein zu „Helden“ erklärt werden? Wenn Nationalsozialismus und Krieg nicht weiter glorifiziert werden sollen und diese Glorifizierung nicht weiter vom neuen Rechtsextremismus ausgenutzt werden soll, ist es nötig, ein anderes Bewußtsein zu schaffen. [...] Die Zerstörung dieses Denkmals ist deshalb eine die Kultur revolutionierende Aktion. Gewaltfreie Aktionsgruppe

Clara Wichmann