Bei Knopfdruck Mord

■ "Interfilm" ist kein Relikt aus DDR-Zeiten, sondern der Joystick für das Kino

Die Geschichte des Kinos ist reich an technischen Eintagsfliegen: Der amerikanische Regisseur William Castle ließ in Lichtspieltheatern, die seinen Horrorfilm „The Tingler“ (1959) zeigten, unter der Bestuhlung elektrische Drähte verlegen. Die sollten den ZuschauerInnen mit Schwachstrom ein wenig nachhelfen, wenn es ihnen während des Films nicht eiskalt genug den Rücken hinunterlief. Dieses Verfahren landete genauso schnell auf dem Müllhaufen der Filmgeschichte wie etwa zur selben Zeit der 3-D-Film oder etwas später das Odorama-Geruchskino.

Seit Anfang dieses Jahres ködert die New Yorker Kinokette „Loews“ jetzt ihre Besucher mit einer neuen technischen Errungenschaft: dem „Interfilm“, bei dem das Publikum quasi basisdemokratisch über den Handlungsverlauf mitbestimmen kann. Natürlich vergleichen die Entwickler des Verfahrens ihren „interaktiven Film“ nicht mit den Flops der Vergangenheit, sondern mit der einer historischen Kino-Innovation: dem Tonfilm. Der Demonstrationsfilm „I'm your man“, so behauptet das Presse-Info dreist, wird Filmgeschichte machen wie einst „The Jazz Singer“ (1927), der erste abendfüllende amerikanische Tonfilm.

Nintendo-Gesellschaft und Teledemokratie

Damit die ZuschauerInnen über die Handlung des Films mitentscheiden können, sind die Sitze in einem Saal von „Loews 19th Street Theatre“ mit einer Art Joystick versehen worden. In deren Benutzung weist vor jeder Vorstellung eine Animateuse ein. Um die Stimmung noch etwas zu heben, muß das Publikum zum Schluß ein paarmal „Don't just sit there“ skandieren, bevor die Show beginnt. Einige ZuschauerInnen hält es dann tatsächlich kaum noch auf ihren Sitzen: An dramaturgisch entscheidenden Stellen werden sie, die ZuschauerInnen, plötzlich gefragt, ob die Helden besser über die Feuerleiter oder durchs Fenster fliehen sollen.

Mit dem grünen Knopf an der Sessellehne stimmt man für das Fenster, der rote Knopf ist ein Votum für die Leiter, und – hui – da jagen die Fensterwähler durch die Reihen, um grüne Knöpfe an leeren Stühlen zu drücken.

Auf der Leinwand werden die Stimmen ausgezählt, und die Laserdisk, auf der der Film gespeichert ist, beugt sich der Entscheidung der Mehrheit. Wie eine CD springt sie zum nächsten Handlungssegment – das cinematographische Gegenstück zum Gameboy.

Doch hoppla – schon nach 20 Minuten sind Film und Spaß vorbei. Wer will, kann bleiben, um in der nächsten Runde zu erfahren, was passiert, wenn statt dem Yuppie Jack der CIA-Mann Richard zum Hauptdarsteller gewählt wird. Unter uns: Es passiert im wesentlichen dasselbe...

Ist dies „ein Quantensprung in die Kinozukunft“, wie die „Interfilm“-Entwickler behaupten? Oder eher eine Generalprobe für die Nintendo-Gesellschaft des nächsten Jahrtausends? Während des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfes ging Ross Perot mit der Idee von „elektronischen Bürgerversammlungen“ hausieren. Bill Clinton verfolgte diesen Einfall weiter, als er seinen economic summit in Little Rock live auf CNN übertragen ließ, eine Pionierleistung in Sachen interaktiver Tele-Demokratie: Zuschauer mit Fragen und Anregungen wurden gebeten anzurufen. „Don't just sit there“ also, wie in unserem New Yorker Kino.

Vielleicht soll „Interfilm“ sein Publikum ja darauf vorbereiten, daß es künftig mit der Fernbedienung über die Todesstrafe abstimmen kann... Tilman Baumgärtel