■ Österreich vor dem „Volksbegehren gegen Ausländer“
: Haider ersäuft im Lichtermeer

Von den Deutschen abgespickt, aber verspielter, spaziergängerischer brannte am vergangenen Samstag in Wien ein „Lichtermeer“ – „für Mitmenschlichkeit, gegen Ausländerfeindlichkeit“ – an dem 250.000 Menschen teilnahmen. Nach polizeilichen Schätzungen; in Wahrheit also wohl mehr; oder etwa ebensoviel, wette ich, wie das „Volksbegehren gegen Ausländer“ unterschreiben werden, das Jörg Haider in der kommenden Woche über Österreichs morsche Politbühne rollen läßt. Die anfängliche Euphorie im Haider-Lager – man sprach von einer Million Unterschriften – war ebenso überzogen wie die dementsprechende Hysterie im Anti-Haider-Lager. Während die offizielle Parteipolitik nichts produzierte als Haider- Beschimpfungen, war die außerparlamentarische Mobilisierung ruhig und effizient. Erst recht seit der geglückten Demonstration ist die Depression im Haider-Lager handgreiflich. Zumindest provisorisch ersäuft Haider im Lichtermeer.

Denn daß die Weltgeschichte jetzt eine ganze Zeitlang nach rechts dreht (durch unsere Schuld, werte Mitlinke, durch unsere übergroße Schuld!) – das ist klar. Und da ist eine mittelgroße parlamentarische Partei wie die FPÖ Haiders, die auf überschaubare, durchschaubare Art die Rechte darstellt – immer noch angenehmer als die deutschen Zustände des verworrenen Wimmelns von Rechtsradikalismus, Rechtsextremismus, Rechtsterrorismus, oder wie immer Eure Verfassungsschützer das hilflos einteilen.

Bedauernswertes Deutschland, Du hast keinen Jörg Haider! Die Deutschen haben Rechtsextremismus, die Österreicher haben Haider – auf diese mehrdeutige Kurzformel möchte ich's zuspitzen. Die Hauptsache ist, daß Haider jene teuflische Rolle in der österreichischen Innenpolitik spielte, die schon Goethe zumaß, nämlich als „Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft“. Haider ist der Stachel im welken Fleisch der Dame Koalition.

Jene auf Ewigkeit gedachte Arbeitsgemeinschaft aus Wähler verlierenden Rosaroten (SPÖ) und noch mehr Wähler verlierenden Hellschwarzen (ÖVP) ist die Nährbouillon, auf welcher der Haider-Virus wucherte. Jörg Haider, „wenn man Euch Fliegengott, Verderber, Lügner heißt, nun gut, wer bist Du denn?“ (immer noch „Faust“, I. Teil). Haider wäre ein Lokalmatador im hintersten Kärnten, hätten nicht die Fehler, Versäumnisse, Farblosigkeiten und Korruptionen einer undemokratischen Demokratie, wie sie in Österreich blüht, ihn aufgeblasen zu einer nationalen Figur. Doch jetzt hat er, der sich gern fotografieren läßt als kühner Kletterer im Kärntner Extremklettergarten Kanzianiberg – jetzt hat er sich verklettert. Günther Nenning

Österreichischer Publizist