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■ Karl Lamers, außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, zum Streit um Militäreinsätze„Keinen deutschen Sonderweg“

taz: Herr Lamers, Sie haben eine Reihe konkreter Fälle genannt, in denen Sie sich deutsche Militärinterventionen vorstellen könnten, zum Beispiel eine Militäraktion im Tschad, wie sie Frankreich zweimal unternommen hat...

Karl Lamers: Dieser Fall wäre zwar gemeinsam mit unseren Partnern möglich. Wir wären aber keineswegs dazu gezwungen. Es ist völlig klar, daß der Hauptpunkt unseres Interesses in der Erhaltung und der Durchsetzung des Friedens in unserer unmittelbaren Nachbarschaft liegt: in Europa und den Gegenden, die unmittelbar an Europa angrenzen.

Gesetzt den Fall, Deutschland hätte die Möglichkeit zur Teilnahme: Wie soll es denn noch frei entscheiden, wenn seine Alliierten eine gemeinsame Intervention, wo immer, beschließen?

Selbstverständlich wird im Rahmen von Nato, EG oder WEU von unseren Partnern Einfluß auf Deutschland ausgeübt. Trotzdem müssen wir die Kraft haben, auch einmal „nein“ zu sagen und möglicherweise auch andere davon abzuhalten, etwas zu tun, was wir als gefährlich ansehen.

FDP und SPD verweisen darauf, daß die Satzungen von Nato oder WEU Militärinterventionen außerhalb des Bündnisgebietes überhaupt nicht zulassen.

Keiner unserer Partner sieht da ein Hindernis. Die Nato hat ihre Osloer Beschlüsse, die WEU die Petersberger Beschlüsse.

Die sind von der Bundesrepublik nicht ratifiziert.

Meinetwegen können wir die Petersberger Erklärung ratifizieren. Der Kern der Sache ist ohnehin nicht das Rechtliche, sondern das Politische: Kann Deutschland in der zentralen Frage von Frieden und Krieg eine grundsätzlich andere Einstellung einnehmen als alle seine Partner?

Die SPD argumentiert, Frankreich und Großbritannien seien als traditionelle Kolonialmächte interventionsfreudiger, Deutschland andererseits habe seine schlechte Tradition des Militarismus, den die Nachbarn ja auch hinlänglich kennengelernt haben.

Folgte man diesem Argument, wäre das eine Umkehrung der gesamten westlichen und deutschen Nachkriegspolitik. Die ging davon aus, daß deutsches Abenteurertum durch die Eingliederung der Bundesrepublik in die westlichen Strukturen verhindert wird. Zögen wir einen anderen Schluß, beschritten wir erneut einen deutschen Sonderweg.

Vierzig Jahre war die deutsche Sonderrolle kein Problem.

Das war ein permanentes Problem. Schon vor Gründung der Bundesrepublik gab es den Kampf der Linken gegen die Einbindung in den Westen. Auch bei der Frage der Wiederbewaffnung, dem Nato-Beitritt oder der Nachrüstungsdebatte ging es immer um dieselbe Frage: Soll sich Deutschland ganz eingliedern oder einen letztlich neutralistischen Sonderweg wählen. Ich sage: Deutschland muß die grundsätzlich gleiche Einstellung und die gleichen Optionen haben wie alle seine Partner. Es muß gleichzeitig in jedem Einzelfall, in dem es um den Einsatz militärischer Mittel geht, eine noch größere Zurückhaltung an den Tag legen als seine Partner.

Heißt das nicht, daß Deutschland besondere Sicherungen gegen einen leichtfertigen Militäreinsatz einbauen sollte?

Ja, eine doppelte Sicherung. Erstens, indem wir das Parlament an den Entscheidungen beteiligen. Zweitens, indem wir uns verpflichten, solche Maßnahmen nie alleine vorzunehmen.

Ist es denn das gleiche, ob in Bosnien französische oder deutsche Soldaten auftreten?

Zur Normalität gehört in der Tat das Stehen zur eigenen Geschichte. Im konkreten Fall von Bosnien-Herzegowina heißt das, daß wir nicht an Kampfmaßnahmen auf dem Boden teilnehmen sollten.

Der Krieg ist für die Deutschen ein besonderes Trauma. Das sieht man an Umfragen: Ihre Pläne werden von der Mehrheit abgelehnt.

Von der Wiederbewaffnung bis hin zur Nachrüstung gab es für unsere Positionen nie eine Mehrheit. Trotzdem haben wir all diese Auseinandersetzungen erfolgreich bestanden und bei den Wahlen obsiegt. Wir hatten, im Gegensatz zur Linken, immer die Wirklichkeit auf unserer Seite. Auf die traumatischen Erfahrungen der Deutschen müssen wir selbstverständlich Rücksicht nehmen, auch auf die traumatischen Erfahrungen unserer Nachbarn.

Aber alle unsere Nachbarn, Franzosen wie auch Polen, wollen unsere volle Teilnahme. Es ist für die Deutschen natürlich auch sehr bequem, sich nicht zu beteiligen. Die Folgen zu tragen, bis dahin, daß deutsche Soldaten ums Leben kommen können, das erfordert große innere Stärke. Und viele wollen sich dieser Anstrengung nicht stellen.

Die SPD jedenfalls haben Sie von Ihrer Position nicht überzeugt. Wo liegen Kompromißmöglichkeiten?

Grundsätzlich kann man nur entweder alles oder gar nichts machen. Detaillierte Regelungen ins Grundgesetz zu schreiben, wie es die SPD will, das scheitert an der Lebenswirklichkeit. Blauhelm- Einsätze können in Kampfeinsätze übergehen. UNO-Einsätze können in Einsätze ohne Mandat übergehen. Ein pragmatischer Kompromiß wäre ohne weiteres möglich: Er könnte darin bestehen, vielleicht erst einmal nur das Allernotwendigste zu machen und vielleicht bestimmte Optionen zunächst nicht wahrzunehmen.

Das setzt allerdings ein grundsätzliches Einvernehmen über alle notwendigen Optionen sowie den Verzicht auf eine verfassungsrechtliche, das heißt ein für allemal geltende Regelung voraus. Diesen politischen Kompromiß könnte man absichern durch abgestufte Beteiligungsrechte des Bundestages, welche die Opposition einschließen. Daher verhindert jeder einen Kompromiß, der auf einer verfassungsrechtlichen Regelung besteht.

Verteidigungsminister Volker Rühe hat noch im Sommer erklärt, vor Ablauf des Jahrzehnts könne er sich Kampfeinsätze deutscher Soldaten nicht vorstellen.

Leider können wir das internationale Geschehen nicht vorherbestimmen. Der Verteidigungsminister hat diese Äußerung deshalb auch nie wiederholt.

Wie soll denn der aktuelle Streitfall zwischen CDU und FDP gelöst werden? Ordnet der Kanzler per Richtlinienkompetenz an, daß die Deutschen bei einem AWACS- Einsatz über Bosnien drinbleiben?

Wir werden eine Einigung finden. Die Koalition wird daran nicht zerbrechen.

Interview: Tissy Bruns

und Hans-Martin Tillack

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