Fragiler Frieden im Nationalen

Die ungarische Regierungspartei bestätigt József Antall als Parteichef/ Abspaltung der Liberalen angekündigt/ Nationalist Csurka fühlt sich „schön allein“  ■ Aus Budapest Keno Verseck

Viel Schmutz wurde am Wochenende in Ungarn aufgewirbelt – und am Ende doch unter den Teppich gekehrt. Dabei zeugt es vom Ausmaß der Zerstrittenheit im Ungarischen Demokratischen Forum, der größten Regierungspartei des Landes, daß auch nach dem dreitägigen Parteikongreß das Wesentliche beim alten bleibt.

Auf der als „historisch“ apostrophierten Zusammenkunft des UDF blieb der große Machtkampf zwischen Regierungschef József Antall und dem Dramenschreiber- Politiker Istvan Csurka aus. Ohne Gegenstimmen wählten die fast 700 Delegierten den konkurrenzlosen Antall erneut zum Parteivorsitzenden. Nachgeholfen hat dabei die von Csurkas nationalistisch- rechtsextremen Anhängern offen bekundete Absicht, den Regierungschef zu stürzen. Der größte Teil der UDF-Mitgliedschaft hält vorerst Antall als Regierungschef für nicht ersetzbar. Auf Kosten der UDF-Liberalen allerdings ging der Rechtsruck im neuen Parteivorstand, in dem Csurka nun nebst vier weiteren Anhängern vertreten ist.

Antall erwähnte schon zu Beginn des Kongresses mit keinem Wort mehr den Rücktritt als Regierungschef, den er noch einen Tag zuvor angedroht hatte, sollte Csurka eine Änderung der Parteilinie durchsetzen. In ultimativem Tonfall erklärte er, ihn könne niemand dazu zwingen, eine Politik zu betreiben, die er als schädlich für Ungarn betrachte.

Csurka mußte mit ansehen, wie eine Anzahl seiner Verbündeten auf Distanz zu ihm ging und erklärte, sich der Zentrumspolitik Antalls unterordnen zu wollen. „Schön allein“, rief der Schriftsteller bei seinem ersten Auftritt vieldeutig in den Saal. Einer Rede, in der er in vergleichsweise milder Form einmal mehr seinen nationalistischen Antikommunismus und Antisemitismus ausbreitete, ließ Csurka sichtlich schweren Herzens das Friedensangebot folgen. „Ich bin gewillt zur Aussöhnung, im Interesse der gemeinsamen Sache. Unsere Einheit liegt jedoch ausschließlich in unserem Ungarn- Sein“, erklärte er und erntete für dieses Bekenntnis den wohl leidenschaftlichsten Beifall des Kongresses.

Wie fragil der Frieden ist, offenbarte die zwiespältige Sehnsucht nach Harmonie in diesem überwältigenden Applaus. Während Csurka die Enttäuschung vieler UDF-Mitglieder über die soziale Lage nach drei Jahren Systemwechsel auszudrücken vermag, war vielen Delegierten wohl schmerzlich bewußt, daß er unmöglich die Partei oder gar die Regierung führen könne.

Antall, der gefestigt aus dem Kongreß hervorgeht, hat damit noch lange nicht die tief aufgerissenen Gräben zwischen den UDF- Fraktionen überbrückt. Die UDF- Liberalen haben bereits angekündigt, daß sie nach dem Rechtsruck im Parteivorstand eine eigenständige Plattform im Parlament bilden wollen.

Daß der Regierungschef seine Politik einer schnellen europäischen Integration unbeirrt fortzusetzen gedenkt und Wirtschaftsreformen sogar beschleunigt werden sollen, wird andererseits Csurkas Anhänger auch weiterhin auf den Plan rufen.

Es hat sie keineswegs zufriedengestellt, daß Antall im sogenannten Medienkrieg die beiden oppositionellen Rundfunk- und Fernsehintendanten absetzen ließ und auch auf dem Kongreß seine Attacken auf die Presse verbal weiterführte. Angesichts der für Anfang '94 bevorstehenden Wahlen war Antall auf dem UDF-Kongreß nicht bereit, dem Csurka-Flügel eine Absage zu erteilen und so eine Spaltung der Partei zu riskieren. Ob die nun demnächst stattfindet oder nicht – das UDF wird sich auch weiterhin in internen Streitigkeiten verstricken. Der Preis für diese Einheit besteht vermutlich genau in jener Wahlniederlage, die Antall vermeiden will. Der Regierungschef hat an diesem Wochenende den vielleicht letzten Zeitpunkt verpaßt, sie doch noch zu gewinnen.