Zwangsarbeit für Sozialhilfeempfänger

■ Solidarpakt: Familienministerin Rönsch will härter durchgreifen / Arbeitslose müssen mit Vermittlung auf unterqualifizierte Arbeiten rechnen / Jagoda lehnt Meldepflicht ab / CDU-Streit um...

Bonn (dpa/AP/AFP/taz) – Bundesfamilienministerin Hannelore Rönsch (CDU) will SozialhilfeempfängerInnen künftig stärker zu gemeinnützigen Arbeiten verpflichten. Sie sollen „Straßen fegen, Grünanlagen pflegen oder Schnee räumen. Wer die Arbeit verweigert, bekommt weniger Sozialhilfe“, drohte die Ministerin. Alte und Kranke sollen aber nicht herangezogen werden. Gedacht sei vor allem an jüngere Sozialhilfeempfänger, „damit sie nicht von Arbeit entwöhnt und ihre beruflichen Vermittlungschancen erhöht werden“. Die SPD-Abgeordnete Hanna Wolf nannte Rönschs Vorschläge „unqualifiziert und zynisch“. Schneeräumen könne junge Menschen wohl kaum für den Arbeitsmarkt qualifizieren.

Rönsch will auch bei Mißbrauch von Leistungen härter durchgreifen. „Wenn Sozialhilfeempfänger Schwarzarbeiten oder Vermögenswerte verschweigen, müssen sie die Leistungen zurückbezahlen.“ Unterstützung bekam Rönsch vom Vorsitzenden der CDU-Sozialausschüsse, Ulf Fink. Er wies auf eine Bestimmung des Sozialhilfegesetzes hin, wonach arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger schon jetzt einer Arbeit nachgehen sollten. Fink will im Bundestag vorschlagen, dies in eine Muß-Bestimmung umzuwandeln.

Auch Bundeskanzler Kohl erklärte auf dem Parteitag der thüringischen CDU, das deutsche Sozialsystem müsse in Teilen verändert werden. Es könne nicht sein, daß Leute unter 30 Jahren Sozialhilfe bezögen und damit „Aussteigertum“ praktizierten. Der Staat dürfe nicht „zum Steinbruch für die egoistisichen Interessen Einzelner“ verkommen.

Verschärfte Regelungen für Arbeitslose kündigte der künftige Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Bernhard Jagoda, an. Sie müssen künftig verstärkt mit Sperrzeiten bei der Arbeitslosenunterstützung und mit Vermittlung auf unterqualifizierte und geringer bezahlte Arbeitsplätze rechnen. Nur bei strikterer Anwendung dieser Instrumente könnten die im Solidarpakt geforderten Einsparungen erzielt werden. Falls dies nicht gelinge, müsse man ernsthaft über eine Verschärfung der bisherigen Vorschriften für den Bezug von Arbeitslosengeld und -hilfe nachdenken. Die Bundesanstalt für Arbeit muß bis zum 15. Mai dieses Jahres nachweisen, daß sie durch Aufdecken von Leistungsmißbrauch drei Milliarden Mark einsparen kann. Andernfalls werden Arbeitslosengeld und -hilfe sowie das Kurzarbeitergeld gekürzt. Jagoda machte deutlich, daß er unterqualifizierte Arbeit nur dann für zumutbar halte, wenn gleichzeitig sichergestellt werde, daß im Falle erneuter Arbeitslosigkeit keine Nachteile für den Betroffenen entstünden. Die im Solidarpakt vorgeschlagene schärfere Meldepflicht lehnte er ab. „Die 3,1 Millionen Arbeitslosen können wir doch nicht täglich oder wöchentlich ins Arbeitsamt bestellen“, so Jagoda. Dafür gebe es weder ausreichend Personal noch verhindere das automatisch Schwarzarbeit.

Bereits jetzt gleicht die Bundesanstalt für Arbeit (BA) die Daten der Leistungsempfänger mit der Liste der Sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ab, die von den Krankenkassen geführt wird. 1991 kam die BA dadurch 192.700 Frauen und Männern auf die Spur, die Leistungen der Bundesanstalt kassierten und gleichzeitig einer Arbeit nachgingen. Bei über 50.000 Betriebsprüfungen konnten außerdem 39.700 Fälle von illegaler Beschäftigung festgestellt werden. Insgesamt brachte dies 200 Millionen Mark in die Kasse der Bundesanstalt.

In der CDU/CSU-Bundestagsfraktion entbrannte am Wochenende ein Streit darüber, ob die Erhebung einer Arbeitsmarktabgabe für Beamte und Selbständige oder die vorgezogene Wiedereinführung des Solidaritätszuschlags als Faustpfand bei den Gesprächen mit der SPD eingesetzt werden sollte. Für diesen Vorschlag setzte sich der stellvertretende Fraktionschef Heiner Geißler ein.