Von Rezession in Hamburg keine Spur

■ Handelskammer prophezeit für 1994 ein Revival der Boom-Town-Ära / Wäre da nicht der Senat mit seiner Verkehrspolitik...

prophezeit für 1994 ein Revival der Boom-Town-Ära/ Wäre da nicht der Senat mit seiner Verkehrspolitik ...

Manch ein Journalist faßte sich gestern mittag erstaunt an die eigene Nase: Lauschte man wirklich gerade in Raum 101 der Jahresbilanz unserer Kaufmannslobby? Die Hausnummer stimmte, die Akteure waren aus Fleisch und Blut, es gab Kaffee und kein LSD. Für das große Staunen sorgte der fast provozierende Optimismus, mit welchem Handelskammer-Geschäftsführer Gerhard Schröder die Medien konfrontierte: „Von einem Absturz in die Rezession ist in Hamburg überhaupt keine Rede. Im Gegenteil: Ende 1993 erreichen wir den Wendepunkt, Mitte 1994 dürfte dann der Aufschwung in unsere Stadt zurückkehren.“

Stolz verwies Schröder auf die „erste empirisch gesicherte Prognose zur Hamburger Konjunktur 1993“. 2200 Unternehmen hat die Kammer befragt, einen repräsentativen Querschnitt durch Hamburgs Wirtschaft. Die Ergebnisse der Umfrage malen ein schattiges Bild: Der Geschäftsklima-Indikator, seit Ende 1990 auf Talfahrt, sackte weiter ab, Investitionen werden gekürzt, Pläne zur Arbeitsplatzvernichtung hegen 30 Prozent aller Betriebe, nur neun Prozent wollen in diesem Jahr aufstocken. Sehr bescheiden sind die Umsatzerwartungen: 55 Prozent rechnen mit stagnierenden oder steigenden Umsätzen, 45 Prozent gar mit Umsatzrückgängen.

Zeichen für einen Aufschwung? Man muß die Zahlen nur zu lesen verstehen, so Schröder: „Der Abschwung wird immer flacher.“ Hilfreicher ist wohl eine andere Erklärung: Handelskammer, Landesbank und Wirtschaftsbehörde haben sich darauf verständigt, diesmal auf Optimismus zu machen. Schröder: „Es gilt, die positiven Merkmale in den Vordergrund zu stellen.“ Hamburg, so das Kalkül, soll sich als wirtschaftliche Insel der Seligen profilieren, den Fehler der 80erJahre vermeiden, als Kammer und Rathaus sich unaufhörlich öffentlich über Süd-Nord Gefälle, Strukturkrise und EG-Randlage ausweinten.

Ganz hat die Kammer das Jammern nicht verlernt. So geißelte Schröder gestern Unterlassungen und Fehler in der Verkehrspolitik. Die Stadt dürfe den Straßenverkehr nicht behindern, da dies auch immer den Wirtschaftsverkehr treffe. Es müsse Schluß sein mit Verkehrsberuhigung und zögerlichem Straßenbau. Die Stadt müsse Mittel in den Straßenbau umleiten, Ausbau der Stadtringe, zusätzliche Elbquerungen und ein Autobahnring um Hamburg seien das Gebot der Stunde. Schröder erbost: „Der Wirtschaftsverkehr ist zum Stiefkind der Hamburger Stadtentwicklungspolitik geworden.“

Noch schärfer war Kammerpräses Klaus Asche am 31.Dezember

1bei der traditionellen „Versammlung eines ehrbaren Kaufmanns“ mit dem Rathaus ins Gericht gegangen: Man habe erwartet, daß der Senat im Herbst 1992 eine Reihe drängender Probleme in der Stadt nunmehr entschlossen anpacken und lösen werde. Doch leider, so

1konstatierte Asche mit unüberhörbarer Politikverdrossenheit, „verwaltet der Senat mit seiner Einstimmen-Mehrheit im Parlament lediglich den Status quo.“ Und noch jemand, so meint die Kammer, solle sich endlich mal am Riemen reißen: die Medien. Sie sollten, so

1mahnt die Kammer, „ihre Tätigkeit mehr in den Dienst gemeinsamer Grundlagen der Gesellschaft stellen“. Japan ist leuchtendes Vorbild: „Journalisten verstehen sich dort als Teil des Systems. Ihr Arbeitsziel ist die Unterstützung von Staat und Wirtschaft.“ Florian Marten