Staatenlos in Absurdistan

■ Ausgebürgerte Deutsche muß sich woanders einbürgern, um sich ausbürgern zu lassen, um eingebürgert zu werden

Berlin. Marija K. ist als Deutsche in Berlin geboren und aufgewachsen, aber jetzt ist sie keine Deutsche mehr. Diese Absurdität verdankt sie dem Blutrecht, das die Staatsangehörigkeit regelt.

Das Unglück der 21jährigen war, daß ihre Mutter zum Zeitpunkt ihrer Geburt im September 1972 jugoslawische Staatsangehörige war. Zwei Monate später heiratete sie einen Deutschen, der das von einem anderen Mann stammende Kind als das seine legitimierte. Marija K. wurde zur Deutschen, und 1977 ließ sich auch ihre Mutter einbürgern. Im Jahre 1990 indes sollte die Tochter Unterhalt für ihren Stiefvater zahlen. Daraufhin ließ sie, auf Anraten einer bezirklichen Rechtsberatung, ihre Ehelichkeit anfechten. Das nichteheliche Kind einer Ausländerin aber kann nach dem vom Blutrecht abgeleiteten und immer noch gültigen „Reichs- und Staatsbürgerschaftsgesetz“ von 1913 niemals deutsch sein. Im Juni 1991 forderte sie die Senatsverwaltung für Inneres deshalb auf, ihren deutschen Personalausweis abzugeben. Sie habe „die deutsche Staatsbürgerschaft zu keinem Zeitpunkt besessen“, so die Behörde im Oktober. Es bleibe ihr jedoch die Möglichkeit, diese „im Wege der erleichterten Einbürgerung“ zu erwerben. Wieder einen Monat später, als der Staat Jugoslawien faktisch schon zerfallen war, teilte ihr die Ausländerbehörde mit, daß sie nunmehr als Jugoslawin geführt werde. Paß und Personalausweis habe sie in zwei Wochen abzugeben. Dem kam sie aber nicht nach, weil ihr Anwalt Rechtsmittel gegen die sofortige Vollziehbarkeit dieses Bescheids einlegte und in dieser Sache schließlich auch vor dem Oberverwaltungsgericht recht bekam. In der Hauptsache – der Frage, ob sie prinzipiell zur Ausweisabgabe verpflichtet sei –, ist der Rechtsstreit indes immer noch nicht entschieden.

Die junge Frau geriet dennoch langsam in Zustände der Verzweiflung. Letzter Anlaß waren die Unterlagen für ihre Bewerbung als Schwesternhelferin zum 1.April 1992. In ihrem Personalausweis war sie Deutsche, in ihrem polizeilichen Führungszeugnis Jugoslawin. Zum Glück erhielt sie den Ausbildungsplatz. Aber die Klinik hätte sich auch darauf berufen können, eine Ausländerin nicht ohne gültige Arbeitserlaubnis anstellen zu dürfen.

Ihre Hilflosigkeit nahm indes noch zu angesichts der Unterlagen „zur erleichterten Einbürgerung“, die ihr die Innenbehörde schickte. Denn daraus ging hervor, daß sie nur dann wieder Deutsche werden könne, wenn sie zuvor eine ausländische Staatsbürgerschaft erworben und diese wieder abgegeben habe. Ausbürgerung zwecks Einbürgerung zwecks Ausbürgerung zwecks Einbürgerung also. Wie aber sollte sie Jugoslawin werden können, wo doch Jugoslawien nicht mehr existierte? Welches Konsulat der Nachfolgestaaten sollte sich für diese unglückliche Berlinerin interessieren? Wenn Marija K. ihr Hauptsacheverfahren verliert und keine andere Instanz ein Einsehen hat, wird sie auf Dauer staatenlos in Absurdistan verweilen. Ute Scheub