Wie ein Amerikaner in Paris

Eine Vorstellung von Tiefsinn: Gary Hills Videoinstallation im Van Abbemuseum Eindhoven  ■ Von Jochen Becker

Computer- und Videokunst stehet bekanntermaßen im Ruf, bunt und effekthascherisch, laut, interaktiv oder gar virtuell zu sein. Gary Hill hingegen mimt den Klaus-Michael Grüber dieses Genres: Stillraunend, düster-fern, farbschwindsüchtig und durch Literaturkenntnisse aufgeladen, bescheiden sich seine Arbeiten mit Schattenbildern: In einer Keller-Vitrine der Berliner „Metropolis“-Ausstellung lagen verschieden große Bildschirme ohne Gehäuse, mit menschlichen Fragmenten bespielt; entlang beider Wände eines schmalen und stockdunklen Gangs unterm Documenta-Dach des Kasseler Fridericianums schritten projizierte Personen bedächtig auf den Betrachter zu.

Im Eindhovener Van Abbemuseum baute Gary Hill zwei Rauminstallationen auf, die nur durch gewundene Lichtschleusen betreten werden können. Die Aufsicht registriert unbeholfene Orientierungssuche und hilft umsichtig mit einem kurzen Taschenlampenstrahl aus. In der Mitte des ersten Raums – „I Believe It Is an Image in Light of the Other“ – liegen aufgeschlagene, zum Teil übereinandergeworfene Bücher (laut Beipackzettel Texte von Heidegger und Blanchot). Darüber hängen sieben Leuchten, die fahle Videobilder abwerfen. Ihre Projektionsfläche ist zumeist exakt auf die des Buchs abgestimmt. Im schemenhaften Schwarzweiß erkennt man nackte Körper, Gesichter und einen sich drehenden Stuhl.

Der Stuhl taucht auch in Hills zweiter Installation „Some times things“ wieder auf, als eines von Dutzenden in sich rotierenden, mal weiter „vorne“ oder fast punktförmig ganz „hinten“ an die Wand geworfenen Lichtbildern. Außerdem läßt Gary Hill auch eine Leiter, eine Schraube, ein Buch, einen Hammer oder eine Holztür als weißes „Computer Aided Design“ im schwarzen Niemandsraum taumeln. Durch künstlichen Schattenwurf und Drehung um alle Achsen wirken die etwa tellergroßen CAD-Grafiken äußerst plastisch; man erinnert sich an Kulturfilme, wo hart ausgeleuchtete Gipsabgüsse antiker Götter auf einer unsichtbaren Töpferscheibe rotieren.

Diesmal hängen die Projektorröhren nicht von der Decke, sondern sind wie eine Batterie mittelalterlicher Kanonen auf die Wand ausgerichtet und ähneln dabei frappant Walter de Marias serieller Arbeit „Broken Kilometer“. Aus Lautsprechern an ihrer Rückfront erklingt eine männliche, flach betonende Lesestimme. Nur ganz dicht am Rohrende ist die Beschreibung des vorderseitig projizierten Objekts zu verstehen. Sehr bald verliert sich die Erörterung der geometrischen Eigenschaften im Detail und vermischt sich bei gleichbleibendem Vokabular und Leseduktus mit den Beschreibungen der Gegenstände nebenan.

Die Materialität des projizierten Computerdesigns ist ähnlich diffus: Obgleich die Objekte auf präzis gerechneten Drahtmodellen basieren, wirken die Bilder wie durch einen Weichzeichner gefiltert. Gary Hill bedient sich einer speziellen Projektionstechnik, bei der offensichtlich das Licht eines normalen Monitors durch eine Linse gebündelt wird. Wie eine schwache Taschenlampe strahlen die Röhren das Videobild aus.

Im Unterschied zu Nam June Paik nutzt Gary Hill nicht-alltägliche, extra für seine Zwecke angefertigte Abspieltechnik. Diesen besonderen technischen Aspekt seiner Arbeit sucht er allerdings durch skulptural ausgeformte Projektoren, Dämmerlicht und ein durchkomponiertes Arrangement zu retuschieren. Seine Projektionstechnik nimmt den Computergrafiken ihre technizide Oberfläche; die samtne Projektion bekämpft die Pixel wie mit Clearasil. Paradoxerweise – und hier geht Hills Harmonisierung nicht ganz auf – provoziert er gerade durch seine umfangreichen Verschleierungsmaßnahmen die Frage, wie denn das alles gemacht sei.

Im Vergleich zu Bill Violas sowohl verfahrenstechnisch als auch in der Art ihrer Installation recht simplen Großbildprojektionen gestaltet Gary Hill über die Bilder und deren Abspielgeräte hinaus ganze Räume. Seine Arbeiten tendieren allerdings zu einer – falschen, da mit inszenatorischen Mitteln erzwungenen – Versöhnung zwischen Körper, Geist (Literatur) und Technik. Während Paik den scheinbaren Abbildcharakter der Videotechnik durch hektische Montage demonstrativ zerstört, sucht Hill in schnittlosen Einstellungen ein Ganzes zu bewahren. Er entfernt sich vom Alltag, den die schrillbuntvergnügte Medienkunst üblicherweise affirmiert, und sucht durch Arrangements, skulpturale Effekte, anspielungsreiche Materialbeschaffenheit und belesenen Philosophiesound distinguiert-geistreich zu erscheinen: Ein Amerikaner in Paris. Denn letztendlich gibt Hill hier nur eine Vorstellung von Tiefsinn, die sich in Atmosphäre und Arrangement erschöpft.

Noch bis Ende Januar