■ Das Portrait
: Leo Loewenthal

Als Fossil der Frankfurter Schule war der jüdische Sozialwissenschaftler spät zu großen Ehren gekommen: Leo Loewenthal, der am Donnerstag in Berkeley gestorben ist, 92 Jahre alt. In den späten 20er Jahren, nach einem Studium der Literatur, Geschichte, Philosophie und Soziologie, begründete er zusammen mit Adorno, Horkheimer und Marcuse das Frankfurter Institut für Sozialforschung. Er holte Erich Fromm an das Institut, dessen Mentalitätsanalysen die Grundlage für Loewenthals Forschungsschwerpunkte zur Untersuchung des „autoritären Charakters“ bildeten. 1933 organisierte der Mann mit dem doppelten Löwen im Namen den Umzug des Instituts erst nach Genf, dann nach New York. Ein Jahr später legte er eine spektakuläre Studie über Knut Hamsun vor, in dessen Werken er faschistisches Gedankengut entdeckte. Damit machte er literaturwissenschaftliche Methoden fruchtbar für die „Kritische Theorie“. Was er mit der Analyse deutscher Propaganda während des Zweiten Weltkrieges in Amerika begann, blieb lebenslang sein Thema: faschistische Rhetorik, die Mechanismen der Massenkommunikation. Seine literatursoziologischen Analysen verstand er „stets als politische Studien“. Er lieferte einen wichtigen Beitrag zur politischen Psychologie der Frankfurter Schule: „Falsche Propheten – Studien zum Autoritarismus“, in Amerika erschienen 1949. Er sieht das bürgerliche Individuum durch „eine total werdende Sozialkontrolle“ bedroht.

hier Foto Nr. 22

Foto: ap

Der Emigrant, der in Amerika Anfang der 50er Jahre Untersuchungen zur Wirkung des Rundfunks in den Ostblockländern initiierte und 1956 als Professor für Soziologie nach Berkeley ging, erfuhr in der Bundesrepublik spät Anerkennung. 1987 hielt er in Siegen erstmals nach 54 Jahren wieder ein Seminar an einer deutschen Universität. Strahlend ergraut, von heiterer Art, wurde Loewenthal als letzter Vertreter einer durch die 68er Bewegung zur Ikone gewordenen wissenschaftlichen Institution herumgereicht: er erhielt die Ehrendoktorwürden der Universitäten Siegen und Berlin, 1985 das Große Bundesverdienstkreuz und vier Jahre später den Adorno-Preis. Die stehenden Ovationen anläßlich eines Vortrags an der Freien Universität Berlin quittierte er gelassen: „Ich bin doch nicht der Horowitz“, womit er seine Rolle, wenn auch in der Negation, prägnant beschrieben hatte. Häusler/Schurr