Der Solidarpakt entzweit die Union

■ SPD-Chef Engholm kündigt Alternativentwurf an / Streit in der CDU um Arbeitsmarktabgabe hält an / FDP gegen Arbeitsmarktabgabe / Wirtschaft will sich zu mehr Investitionen im Osten verpflichten

Bonn (dpa/AFP/AP/taz) – Engholm läßt Kohl abblitzen. Wie gestern bekannt wurde, bemühte sich der Bundeskanzler am vergangenen Freitag vergeblich um einen Termin mit dem SPD-Chef, um über den Solidarpakt zu reden. Der Gesprächsbedarf der SPD sei aufgrund der „mangelhaften Vorschläge der Bundesregierung“ erschöpft, erklärte Engholm nach Angaben der SPD-Sprecherin Cornelie Sonntag gestern bei einer SPD-Vorstandssitzung in Frankfurt. Die SPD werde ein sozial gerechtes, ökologisch und ökonomisch seriöses Alternativkonzept erarbeiten. Es sei zu früh, darüber zu spekulieren, ob auf der Basis eines solchen SPD-Entwurfs Gespräche sinnvoll würden. Engholm sagte, das Maßnahmenpaket der Bundesregierung sei kein Solidarpakt, sondern ein „unsolidarisches Finanzierungsinstrumentarium“. Die Koalition mache nach der deutschen Einheit den „zweiten Kardinalfehler“. Die unterbreiteten Vorschläge zeigten weder politische Prioritäten für den Aufbau Ost noch Ansätze zur Beseitigung der sozialen Schieflage.

Gesprächsbereiter zeigten sich gestern die Präsidenten und Geschäftsführer der Unternehmensverbände. Sie sicherten Kohl bei einem Treffen im Kanzleramt Unterstützung für den Solidarpakt zu. Arbeitgeber-Präsident Klaus Murmann stellte für die neuen Länder eine Ausbildungsplatzgarantie und mehr Investitionen in Aussicht. Die westdeutschen Unternehmen sollen sich zudem verpflichten, in Ostdeutschland verstärkt Fertig- und Vorprodukte einzukaufen. Murmann machte jedoch auch deutlich, daß es ohne Zugeständnisse der Gewerkschaften keinen Solidarpakt geben wird. Als unabdingbare Voraussetzung für die Einwilligung der Wirtschaft nannte Murmann, daß bereits abgeschlossene Tarifverträge wie etwa in der Metallindustrie revidiert werden müßten.

Nichts als Ärger mit dem Solidarpakt hat Kohl innerhalb der CDU-Führung. Wegen des wachsenden Widerstands wurde für Dienstag das CDU-Präsidium nach Bonn einberufen. Vor allem Umweltminister Klaus Töpfer soll sauer sein, weil die seinen Zuständigkeitsbereich betreffenden Punkte ohne seine Mitarbeit in das Sparpaket aufgenommen wurden. Auch andere Mitglieder des Präsidiums, wie der hessische CDU- Chef Manfred Kanther, bemängelten, daß die Streichliste ohne die Mitwirkung des höchsten Parteigremiums zustande gekommen sei. Unmut aus den eigenen Reihen zog sich auch der CDA-Vorsitzende Ulf Fink zu, der eine Arbeitsmarktabgabe für Beamte und Selbständige forderte. Die Beamten im CDA quittierten diesen Alleingang prompt mit einer Rücktrittsforderung. Dagegen gab der Deutsche Beamtenbund überraschenderweise seinen Widerstand gegen die Einführung einer Arbeitsmarktabgabe auf. Der Bundesvorsitzende Werner Hagedorn erklärte, er könne sich ein Splitting des Arbeitslosenbeitrags in einen Versicherungsanteil von 4 Prozent und eine allgemeine, auch Beamten und Selbständige treffende arbeitsmarktpolitische Abgabe von 2,25 Prozent vorstellen. Allerdings müßten dann auch körperschaftssteuerpflichtige Kapitalgesellschaften eine solche Abgabe zahlen.

Das FDP-Präsidium hat sich gestern entschieden gegen eine von der SPD und Teilen der CDU geforderte Arbeitsmarktabgabe ausgesprochen. Wie FDP-Chef Otto Graf Lambsdorff nach einer Präsidiumssitzung betonte, wären eine solche Abgabe oder auch höhere Steuern jetzt „konjunkturpolitisch falsch“. Auch Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) sprach sich gegen die Arbeitsmarktabgabe aus.

Widerspruch gegen die bisherigen Solidarpakt-Vorschläge kommt auch von CDU-Politikern aus den Bundesländern. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen, sagte, diese könnten „bestenfalls ein Vorschlag für weitere Verhandlungen sein“. Ein Sparprogramm sei zwar notwendig, das Existenzminimum für Sozialhilfeempfänger, der Lebensabend älterer Menschen und der Wohnraum müßten jedoch gesichert sein, sagte Diepgen. Der Ministerpräsident von Sachsen- Anhalt, Werner Münch, und der sächsische Innenminister Eggert sprachen sich, abweichend von den Plänen der Bonner Koalition, dafür aus, den Mitte 1992 ausgelaufenen Solidaritätszuschlag auf die Lohn-, Einkommen- und Körperschaftssteuer sofort wieder zu erheben. win