„Das Zentrum wird keine Obergedenkstätte sein“

■ Interview mit Hanno Loewy, Mitbegründer des Frankfurter Lern- und Dokumentationszentrums, über dessen Konzeption und Ausrichtung

taz: Herr Loewy, wo sehen Sie die Schwächen bisheriger Gedenkstättenkonzeptionen in Deutschland? Aus welchem Grund ist Ihrer Ansicht nach ein Lern- und Dokumentationszentrum des Holocaust neben den bereits existierenden Institutionen in diesem Land notwendig?

Hanno Loewy: Es gibt eben immer wieder den Versuch, das, was damals passiert ist, umzudeuten in die Vorgeschichte eines besseren Nachkriegsdeutschland. In Dachau sieht man das Martyrium von Christen, in Buchenwald ein Heldendrama, in Neuengamme einen Lernort der Demokratie... Immer wieder wird versucht, dem Leiden einen identifikatorischen Gehalt abzugewinnen. Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland keine Orte, die sich dem Ereignis selbst mit kritischer Distanz zu nähern versuchen, aber auch der Frage, wie wir in der Nachkriegszeit mit diesem Ereignis leben. Im Grunde ist doch die gesamte Literatur, die Filmproduktion, die politische Rhetorik der Nachkriegszeit eine einzige Gedenkstätte. Damit muß man sich auseinandersetzen, und dafür ist eine Gedenkstätte, ein Friedhof eben nicht der richtige Ort.

Welche Bedeutung hat der Standort Frankfurt für die Konzeption? Denkbar wäre ja auch ein Zusammenschluß mit Berliner Institutionen gewesen.

Ausstellungen wie die „Topographie des Terrors“ legen ja nahe, daß dort, an einem bestimmten Ort, die Zentrale des Terrors war – was für den Rest der Gesellschaft eine gewisse Entlastung bedeutet. Die Reflektion dieser unterschiedlichen Tätermotivationen, das Zusammenwirken verschiedenster Ebenen der Gesellschaft ist an einem solchen Ort, der unter einem so hohen emotionalen Druck steht und unter dem Druck der Legitimation des neuen deutschen Staates, gar nicht zu leisten. Frankfurt hat außerdem eine bestimmte intellektuelle Tradition des Nachdenkens über solche gesellschaftlichen Prozesse: ein Ort, an dem nicht die großen politischen Entscheidungen gefällt worden sind, sondern an dem über sie reflektiert wurde. Daß es in Frankfurt – nach Berlin – die größte jüdische Gemeinde gab und gibt, und daß es hier die Illusion und das Scheitern eines deutsch-jüdischen Zusammenlebens gab und daß Frankfurt unter diesem Scheitern nachhaltig gelitten hat, spielt natürlich auch eine Rolle.

Sie wollen allen Versuchen der Trivialisierung, der Identifikation mit den Opfern des Holocaust oder der Metaphorisierung Einhalt gebieten, indem Sie den Besuchern Ihres Lernzentrums kognitiven Zugriff auf verschiedene Perspektiven, etwa die der Judenräte oder eines Täters, ermöglichen. Entsteht nicht dadurch ein postmodernes Nebeneinander?

Das würde ich nicht sagen. Es geht darum, Formen zu finden, die es ermöglichen, sich über die eigenen emotionalen Reaktionen klar zu werden, zu wissen, daß jede Form der Darstellung ein Versuch ist, dem Ereignis einen bestimmten Sinn zu geben. Weniger naiv mit diesem Sinn umgehen, darum geht es. Das bedeutet nicht, emotionale Reaktionen zu verleugnen, sondern sie auch als Gegenstand von Reflektion ernstzunehmen und nicht immer nur als ein Mittel der Versöhnung, der Therapie oder der Wiedergutmachung zu betrachten. Deshalb muß die Arbeit im Institut auch interdisziplinär sein: keine lineare Historiographie, sondern die projektorientierte Untersuchung ästhetischer Phänomene, Symbolisierungen, Biographien, Alltagskulturen...

Inwiefern findet eine spezifisch jüdische Form der Erinnerung Ausdruck in Ihrer Konzeption? Die Rituale, die sich in der bundesrepublikanischen Gedenkkultur entwickelt haben, rekurrieren in inflationärem Ausmaß auf vermeintlich „jüdische“ Elemente des Gedenkens. So sind Synagogen zu Orten des politischen Protokolls geworden. Man wird eben sehr genau untersuchen müssen, wie diese Traditionen ursprünglich gemeint waren, und was aus ihnen nach der Shoah geworden ist.

Das Frankfurter Zentrum wird aber keine „Obergedenkstätte“ sein, wo die „richtigen“ Rituale oder die „besseren Unterrichtskonzepte“ stattfinden. Man wird eben gemeinsam mit Menschen aus der Bildungsarbeit über ihre Probleme, über deren Haltungen im Umgang mit dem Thema reden und in Projekten Neues ausprobieren. Viele Lehrer wissen gar nicht, was sie mit dieser moralischen Schockpädagogik bei ihren Schülern anrichten. Gleichzeitig gibt es sehr viele Lehrer, die sich antizyklisch verhalten und auch nach der Wende noch Diskussionszusammenhänge suchen, um sich kritisch und professionell mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Warum ist Fritz Bauer, der Staatsanwalt des Frankfurter Auschwitz-Prozesses, der Namenspate Ihres Instituts geworden?

Uns ging es darum, eine Person zu ehren, die eine entscheidende Rolle in der Nachkriegs-Auseinandersetzung mit dem Holocaust gespielt hat; der Frankfurter Auschwitz-Prozeß war ja der Startschuß, der Schock der ersten Konfrontation. Außerdem war Fritz Bauer ein kluger Antipädagoge, der Bevormundung abgrundtief gehaßt hat, der versucht hat, mit Jugendlichen auf gleicher Ebene zu reden, mit natürlich illusionären, radikal-aufklärerischen Idealen. Er war kein Racheengel, er wollte keinen Schauprozeß. So wie er bei Einzeltätern für die Resozialisierung eintrat, sah er im Auschwitz-Prozeß eine Möglichkeit für die deutsche Gesellschaft, die ja als ganze kriminell geworden war, den Weg in die Weltgesellschaft zurückzufinden.