Kroaten erobern Gebiete zurück

■ Friedensverhandlungen in Genf kommen nicht voran/ Keine neue Karte für Bosnien

Vor dem Hintergrund anhaltender schwerer Kämpfe in Kroatien und in Bosnien-Herzegowina wurde gestern die Genfer Jugoslawien-Konferenz zunächst fortgesetzt. Bei den bilateralen Gesprächen der Konferenzvorsitzenden Cyrus Vance und David Owen mit dem muslimischen Präsidenten Alija Izetbegović, Serbenführer Radovan Karadžić und Kroatenführer Mate Boban über die künftigen Provinzgrenzen Bosnien-Herzegowinas gab es jedoch keinerlei Fortschritte.

Auch nach der Ankündigung des kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman vom Sonntag abend, die kroatischen Angriffe auf serbische Stellungen in der Krajina würden eingestellt, gingen die Kampfhandlungen zumindest bis gestern mittag weiter. Dabei setzten beide Seiten schwere Artilleriegeschütze ein. Das teilte der Sprecher der Genfer Konferenz auf der Basis von Berichten der in der Krajina stationierten UNPROFOR-Truppen mit. Kroatische Truppen eroberten nach eigenen Angaben im Laufe des Tages den in der Südkrajina gelegenen Flughafen Zemunik. In Berichten kroatischer und serbischer Medien hieß es, die Kroaten hätten die Serben zum Teil 20 Kilometer weit Richtung Osten zurückgetrieben. In Belgrad trat der aus den Präsidenten Slobodan Milošević und Dobrica Ćosić sowie den führenden Militärs bestehende „Oberste Verteidigungsrat“ zusammen, um über ein mögliches Eingreifen der restjugoslawischen Armee in die Kämpfe zu beraten.

Nach UNPROFOR-Berichten flammten auch die Kampfhandlungen zwischen Kroaten und Moslems in der Region des zentralbosnischen Gornii Varuf wieder auf. Präsident Izetbegović behauptete am Nachmittag in Genf allerdings, die Auseinandersetzungen seien beigelegt. Nach übereinstimmenden Darstellungen der UNPROFOR und verschiedener Medien eskalierten gestern auch die militärischen Auseinandersetzungen in und um Sarajevo wieder. Die bosnische Hauptstadt lag unter stundenlangem schweren Artilleriefeuer aus serbischen Stellungen. Widersprüchliche Darstellungen gab es über die Situation am Grenzfluß Drina zwichen Serbien und Bosnien-Herzegowina. Izetbegović widersprach der von Milošević, Ćosić und Karadžić in den letzten Tagen in Genf mehrfach wiederholten Behauptung, bosnische Regierungstruppen hätten die Drina überschritten sowie Ziele auf serbischem Territorium beschossen. Informationen der UNPROFOR oder aus anderen unabhängigen Quellen lagen hierzu bis gestern abend nicht vor.

Präsident Izetbegović legte in Genf eine Karte vor, die die derzeit von Serben und Kroaten besetzten Gebiete Bosnien-Herzegowinas zeigt sowie 14 Regionen, an denen derzeit „Befreiungsoperationen“ bosnisch-muslimischer Regierungstruppen stattfänden. Zu den Verhandlungen über die Provinzgrenzen erklärte Izetbegović, es habe „keinerlei Fortschritte“ gegeben. Die von Vance und Owen vorgelegte Karte sei „in dieser Form unakzeptabel“. Karadžić habe darüber hinaus in den letzten zwei Tagen „noch 12 bis 15 Veränderungen der Karte zugunsten der Serben“ verlangt. Der Präsident schloß nicht aus, daß seine Delegation den Genfer Tisch in den nächsten Tagen verläßt, falls keine Fortschritte erzielt würden. Karadžić und Izetbegović sind seit dem 2. Januar nicht mehr zu direkten Gesprächen zusammengetroffen. azu Seite 2