Verraten und verkauft

■ Neuer Genfer Kartenentwurf zuungunsten der Muslime?

Genf (taz) – Die Genfer Verhandlungen über die künftigen Provinzgrenzen Bosniens nähern sich einem entscheidenden Punkt. Möglicherweise bereits am Wochenende werden die beiden Konferenzvorsitzenden Cyrus Vance und David Owen weitere Detailverhandlungen für zwecklos erklären und den drei Kriegsparteien eine Karte zur endgültigen Annahme oder Ablehnung vorlegen. Nach ihrer erfolgreichen Offensive im Hinterland der Adriastadt Zadar bot die kroatische Armee den serbischen Truppen eine neue Waffenstillstandslinie an.

Blieben Vance und Owen bei ihrem ursprünglichen, bereits am 2.Januar vorgelegten Kartenentwurf, müßten sie mit einer Ablehnung durch Serben und Muslime rechnen, allein die bosnischen Kroaten haben der Karte bisher zugestimmt. In Genf verdichten sich daher Hinweise, wonach die beiden Konferenzvorsitzenden die Strategie verfolgen, durch teilweise Erfüllung der territorialen Forderungen der Serben doch noch die Zustimmung von Serbenführer Karadžić zu erhalten. Die Muslime, die eine solche noch weiter zu ihren Ungunsten veränderte Karte ablehnen würden, sollen dann durch massiven internationalen Druck gezwungen werden, sich doch noch in das Unvermeidliche zu fügen.

Zur Einstimmung auf eine solches Szenario erklärten UN-Vertreter in den letzten zwei Wochen mehrfach, daß die Serben nach dem bisherigen Kartenentwurf „am meisten Territorium abzugeben“ hätten. Von den derzeit von ihnen besetzten 70 Prozent Bosniens müßten sie sich „auf 43 Prozent zurückziehen“. Darüber hinaus nutzt Vance derzeit seine guten Kontakte zum neuen US-Außenminister Warren Christopher, um die Clinton-Administration von der Überlegung abzubringen, das Waffenembargo gegen die Muslime aufzuheben. UN-Sprecher Eckard berichtete gestern von der Zufriedenheit der Konferenzvorsitzenden über die „Änderung in der Berichterstattung“ der New York Times, die für die Meinungsbildung der politischen Klasse der USA von zentraler Bedeutung ist. Während das Blatt sich bislang durch Korrespondentenberichte aus Sarajevo und Beiträge ihres Kommentators Anthony Lewis „auf die emotionale Seite des Konflikts“ konzentriert hätte, werde mit den Berichten des nun in Genf weilenden NYT-Redakteurs David Binder „einer realistischen Berichterstattung über die Verhandlungen breiterer Raum gewährt“. Die Genfer Delegation von Präsident Izetbegović fühlt sich von Vance und Owen zunehmend „verraten und verkauft“, wie ein Mitglied gegenüber der taz äußerte. Ein Treffen der Delegation mit den Vorsitzenden am Montag verlief „sehr stürmisch“, wie Sprecher Eckard bestätigte.

Die in der Nacht zum Dienstag verabschiedete Resolution des UNO-Sicherheitsrates zu den Kämpfen in Kroatien paßt in das Kalkül der beiden Genfer Konferenzvorsitzenden, da mit ihr die Gefahr gebannt ist, daß Karadžić den Verhandlungstisch verläßt. In der Resolution werden die Angriffe der kroatischen Truppen verurteilt und ihr Rückzug auf die bis vor Beginn der Offensive eingenommenen Stellungen verlangt. Die Serben werden aufgefordert, die bei Einbrüchen in Depots der UNPROFOR erbeuteten Waffen zurückzugeben. Andreas Zumach