„Wir pinkeln an den Kienbaum“

■ Wuppertaler SchülerInnen streiken gegen Rotstift-Politik im Bildungsbereich

Wuppertal (taz) – Wenn man ordentlich drückt, gehen bis zu 233 SchülerInnen in eine Klasse. Das hat die „Stopfaktion“ der streikenden Kids am Gymnasium Bayreuther Straße in Wuppertal gestern bewiesen. Ganz so beengt wird es zwar auch künftig nicht in den nordrhein-westfälischen Klassenzimmern zugehen, aber die von der Landesregierung neu verordneten obligatorischen Richtwerte verschlechtern die Situation. „Bei uns in der Klasse haben fast alle in der Urabstimmung für Streik gestimmt“, sagt der 11jährige Ersen Dogan, „denn große Klassen nerven. Da kannste nicht vernünftig lernen.“ Dabei hat Ersen noch Glück. Während sich in der Orientierungsstufe bisher kaum etwas verändert hat, bekommen die älteren Jahrgänge „das Handlungskonzept zur effektiven Gestaltung der Schulorganisation“ schon sehr direkt zu spüren. Früher, rechnet Schuldirektor Helmut Großer (55) vor, habe man die Leistungskurse auch schon einmal mit 13 bis 15 SchülerInnen durchziehen können. Damit sei jetzt Schluß. Durchschnittlich 19,5 SchülerInnen müssen es pro Kurs sein, und deshalb fallen einige Grundkurse ersatzlos weg. „Wir wollen mit unserem Streik zeigen, daß die Politiker mit uns nicht alles machen können“, sagt Patrick Mau. Der 18jährige gehört zu einer Gruppe von etwa 20 SchülerInnen, die den Streik seit September letzten Jahres vorbereitet haben. Weitere Schulen in Wuppertal, Remscheid und Schwerte folgten dem Beispiel. Gegen die neue Schulpolitik, die die Rau-Regierung als Konsequenz aus den Sparvorschlägen der Kienbaum-Gutachter entwickelt hat, gab es schon in der Vergangenheit zahlreiche Proteste von Eltern, SchülerInnen und LehrerInnen. „Das hat alles nicht so wahnsinnig viel gebracht“, findet Patrick Mau. Deshalb jetzt der Streik, denn, so das Streik-Info: „Kürzungen werden dort durchgesetzt, wo die Regierenden den geringsten Widerstand erwarten.“

Auf dem Schulhof heizt eine Schulband den Kids, die mit Plakaten – „Wir pinkeln an den Kien- Baum“ – gegen die „Bildungskatastrophe“ protestieren, mächtig ein. Neue Protestformen, bis hin zum LehrerInnenstreik, diskutiert zwar auch die Mitgliedschaft der GEW, aber beteiligt haben sie sich in Wuppertal nicht. Immerhin, eine Sammelaktion im Lehrerzimmer erbrachte 400 Mark, und der Tip, die blauen Müllsäcke doch als Erkennungsschürzen für die Streikposten zu nutzen, kam von einem beamteten Pädagogen. „Ein gewisses Verständnis“ für den Streik äußert selbst Direktor Großer. Man wird die Streiktage lediglich als unentschuldigte Fehlzeiten im Zeugnis vermerken. Walter Jakobs