: Václav Havel als ideeles Aushängeschild
■ Der Dramatiker wird der erste Präsident der Tschechischen Republik/ Erste Runde der slowakischen Präsidentenwahlen ohne Ergebnis
Berlin (taz) – Als Václav Havel im Sommer 92 auf eine Wiederwahl als tschechoslowakischer Staatspräsident verzichtete, da war nicht nur Eingeweihten klar: nach der Auflösung der ČSFR würde der 56jährige Dramatiker als tschechischer Präsident sein politisches Comeback feiern können. Ganz so problemlos wie erwartet ging die Wahl Havels jedoch nicht über die Bühne, und dabei waren die scharfen Attacken, mit dem die rechtsradikalen „Republikaner“ die Präsidentenwahlen am Dienstag um Stunden verzögerten, sicher nicht das größte Hindernis.
Noch Anfang Januar war unklar gewesen, ob sich die Parteien der konservativen Regierungskoalition auf Havel als gemeinsamen Kandidaten einigen können. Besonders die Bürgerlich-Demokratische Partei (ODS) von Ministerpräsident Václav Klaus hatte mit dem Gedanken gespielt, den letzten Ministerpräsidenten der ČSFR, Jan Stráský, aufzustellen. Erst nach langen Diskussionen konnte Klaus die mächtiger werdenden Parteiapparatschiks von seiner Ansicht überzeugen, daß ein Präsident Havel das Ansehen der jungen Republik am besten fördern könne.
Im Hintergrund der Diskussion über die Kandidatur stand aber auch die Frage, wer den innen- und außenpolitischen Kurs des Landes in Zukunft mehr bestimmen wird. Obwohl der Präsident von der tschechischen Verfassung nicht mit übermäßig viel Kompetenzen ausgestattet wurde, könnte das weiterhin hohe Ansehen Havels ihm die Möglichkeit geben, den rein marktwirtschaftlichen Kurs von Klaus mit – wie er selbst ankündigte – ökologischen und sozialen Aspekten zu ergänzen. Viele TschechInnen wünschen sich, daß er die pragmatische Politik des Regierungschefs mit einer ideelen Note versieht.
Ob Havel jedoch mehr als das offizielle Aushängeschild der Tschechischen Republik sein kann, scheint fraglich. Zum einen hat er bereits als ČSFR-Präsident viele seiner früheren Überzeugungen zurückgestellt. Zum anderen dürfte Klaus auf die Dauer keinen starken Präsidenten neben sich dulden. Und auch Havel selbst hat erklärt, daß er nicht mehr „Führer der Nation“ sein wolle.
In der Slowakei ist die Rolle des neuen Staatsoberhauptes ebenfalls weitgehend ungeklärt. Während tschechische Zeitungen monatelang spekulierten, daß der slowakische Ministerpräsident Vladimír Mečiar selbst Ambitionen auf dieses Amt habe und es dadurch auch aufwerten würde, entschied die Partei Mečiars, die Bewegung für eine demokratische Slowakei (HZDS), sich für einen Kandidaten, der nicht gerade zu den charismatischen Politikern der Slowakei gezählt werden kann. Und so ist es dem 52jährige Arzt Roman Kováč dann auch nicht einmal gelungen, bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen die Stimmen der 74 Parlamentsabgeordneten der HZDS zu erhalten. Lediglich 69 von 147 Parlamentarieren votierten für ihn.
Die Präsidentschaftswahlen werden jedoch auch erste Auskunft über die weitere Politik Mečiars geben. Da für die Wahl eine Dreifünftelmehrheit notwendig ist, braucht der „starke Mann“ der Slowakei mindestens 16 Stimmen von Abgeordneten anderer Parteien. Diese könnte er bei seinen bisherigen „Verbündeten“, der nationalistischen „Slowakischen Nationalpartei“ (SNS) oder der exkommunistischen „Partei der demokratischen Linken“ (SDL) finden. Die 15 Abgeordneten der SNS haben erklärt, für Kováč stimmen zu wollen, wenn die HZDS einigen ihrer Forderungen entgegenkomme. Beobachter schließen so nicht aus, daß die Wahl sich über mehrere Wochen hinziehen könnte. Heute findet zunächst eine Stichwahl zwischen Kováč und dem SDL-Kandidaten Milan Ftáčník, der bei der ersten Runde mit 30 Stimmen auf dem zweiten Platz landete, statt. Sabine Herre
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen