Torschlußpanik beim Mediziner-Nachwuchs

■ Gesundheitsreform begrenzt Zahl der Zulassungen/ Stichtag ist der 1. Februar/ Ärztekammer-Präsident Huber macht Amtsverzicht von Gesetzesfolgen abhängig

Berlin. Für Ärztekammerpräsident Ellis Huber bringen die kommenden Wochen eine wichtige Entscheidung. Der heute auf den Tag genau vor sechs Jahren gewählte oberste Berliner Standesvertreter der Ärzte will nämlich notfalls auch seinen Rücktritt als „Druckmittel“ einsetzen, um die Folgen des neuen Gesundheitsstruktur-Gesetzes für den Mediziner-Nachwuchs zu mildern. Im Gegensatz zur Mehrzahl der Ärztevertreter begrüßt Huber den Versuch, das Gesundheitswesen zu reformieren. Verhindern aber will der 44jährige, daß die Ärztedichte strikt begrenzt und damit jungen Kollegen die Chance verwehrt wird, eine eigene Praxis zu eröffnen. Statt Medizin mit Apparaten und Arnzeimitteln will Huber gerade „mehr und bessere Ärzte“, die, so ist er überzeugt, dennoch kostengünstiger arbeiten würden als ihre heute wirkenden Kollegen. Die umstrittene Regelung des neuen Gesetzes hat längst Torschlußpanik beim Ärzte-Nachwuchs ausgelöst. Vor dem Stichtag 1. Februar beantragten in Berlin allein in den vergangenen zwei Monaten rund 600 Medizinerinnen und Mediziner die Zulassung als Kassenarzt. Nach diesem Datum wird die Einrichtung einer Kassenpraxis in Berlin vermutlich für lange Zeit fast unmöglich sein. Um sich ihre Chance auf eine eigene Praxis zu wahren, beenden viele Medizinerinnen und Mediziner laufende Facharzt-Ausbildungen.

Während es bislang für Ärzte praktisch keine Zulassungsbegrenzung gab, sind von 1. Februar an neue Zulassungen nur noch dann möglich, wenn in einem Bezirk gegenüber einer Sollzahl eine Unterversorgung in einem Fachgebiet besteht. In Berlin aber, darauf machte kürzlich der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung, Roderich Nehls, aufmerksam, sind schon nach älteren, weniger strengen Richtlinien die Bedarfszahlen überschritten. Im bundesweiten Vergleich ist die Hauptstadt am besten versorgt. So praktizieren in Westberlin allein 631 Internisten. Weniger als die Hälfte, nämlich 309, würden nach alter Bedarfsplanung gebraucht. Wer als internistischer Facharzt außerhalb eines Krankenhauses praktizieren und nicht nur Privatpatienten behandeln will, muß also in schlecht versorgte Landkreise ausweichen.

Auch bei der Ärztekammer sind in den vergangenen Wochen unzählige Anrufe von Kolleginnen und Kollegen eingegangen, die sich mit dem Gedanken der Niederlassung tragen. Darunter sind Ärztinnen, die ihre Berufstätigkeit wegen der Geburt eines Kindes vorübergehend aufgegeben hatten und sich nun gezwungen sehen, schneller als geplant eine eigene Existenz zu gründen.

Sorgen um ihre Zukunft machen sich aber auch Medizinstudentinnen und -studenten. „Die Stimmung ist schlecht“, beobachtet etwa Katja Klugewitz von der Fachschaftsinitiative Medizin am Klinikum Steglitz: „Auch Leute, die sich nie groß für Politik interessiert haben, fletschen nun die Zähne.“ Das Gesetz, so sagt sie, erschwere auch den Einstieg in den Beruf: Weil der Weg zur eigenen Praxis versperrt sei, würden die Assistenzärzte in den Kliniken ihre Posten nicht mehr räumen.

Spätestens Anfang März sollen die neuen Zahlen für die Ärztedichte in Berlin vorliegen. Falls ein Zulassungsstopp sich nicht anders verhindern läßt, steht auch Hubers Amt zur Disposition. mon