Der Erich in uns Von Thomas Pampuch

Nun sind wir ihn also los, den alten Erich. Ein bläßlicher Greis tut seine letzte Reise, Fensterplatz, Nichtraucher, Touristenklasse. Erichs Abgang aus der Weltgeschichte – in Pantoffeln – sei ihm gegönnt (und empfohlen). Einem Leberkrebsleidenden wünscht man nicht noch die Pest und auch keinen Strick an den Hals.

Das Problem, die gesamtdeutsche Vergangenheitsbewältigung – heutzutage zur Vergangenheitsentsorgung mutiert –, kann er sowieso nicht lösen, und wir mit und an ihm wohl auch nicht. Insofern hinterläßt Honecker eine Lücke, die ihn voll ersetzt. Natürlich wäre es nicht uninteressant gewesen, wenn er hier vor Gericht noch ein bißchen über die alten Zeiten erzählt hätte. Egal ob er sich dabei als großer Held des Sozialismus geriert hätte oder als reuiger Verräter der Ideen, für die er unter den Nazis im Knast saß. Ein hübsches Lehrstück wäre es allemal geworden. Bloß, vor welchen Richtern? Vor welchem Publikum? Und welche Lehren hätten wir daraus gezogen?

Nein, es genügt, daß Honecker zwar seinen Tumor mit nach Chile genommen hat, uns aber die Komplikationen und Metastasen im Entgiftungs-, Entsorgungs- und Ausscheidungsbereich (wenn wir mal der Symbolik die Zügel schießen lassen dürfen) als urdeutsches historisches Krankheitssyndrom hiergelassen hat: den Erich in uns, gewissermaßen.

Nach Thorwald Dethlefsen („Krankheit als Weg“), dem Nach-Erich-Guru vieler nicht nur von des Gedankens Blässe angekränkelten Genossen, dient die Leber ja auch dem Abbau und der Ausscheidung des roten (!) Blutfarbstoffs Bilirubin. Kein Wunder, daß der alte Vorsitzende da mit seinem „Zentralorgan“ (!) des intermediären Stoffwechsels“ Probleme hat. Und sich (nach Dethlefsen) Fragen vorlegen muß, wie: „Wo bin ich ins Zu-viel geraten? Habe ich die Fähigkeit rechter Wertung und Bewertung verloren? Bestimmen Maßlosigkeit, überzogene Expansionswünsche und zu hohe Ideale mein Leben?“

Aber so, wie der freie deutsche Greis in Santiago mit seiner Entgiftung nicht klarkommt und seinen Tumor nicht loswird, haben wir unsere Last mit diesem Erich tief drinnen in uns, egal ob wir nun alte fellow-traveller, Milliardenkrediteinfädlungsbefürworter, FDJ-Fähnchenschwenker oder sonstwie verdiente Kloputzer des Volkes waren. Und gerade die aufrechten Antistalinisten in Ost und West wissen, daß die Geschwulstbildung im realen Sozialismus kein bloßes Honecker-Karzinom war und infolgedessen auch nicht mit einem sauberen, gezielten Schnitt an einem einzigen aus den Fugen geratenen Zentralorgan zu entfernen ist. Und die Metastasenbildung wird so schon gar nicht verhindert. Das hat schon mal nicht geklappt.

Da müssen wir für die Therapie schon ein bißchen mehr tun, da muß ein jeder in seinen eigenen Innereien kehren. Das wird sein Weilchen dauern, vielleicht kann uns Erich aus Chile als compañero Anecker sogar noch ein paar Dienste dabei leisten. Wenn er nicht schon vorher entweder an zuviel Bilirubin gestorben ist oder aber (Leberkrankheit als Weg) die „Rückverbindung zum All-Einen“ (Dethlefsen) gefunden hat. Und das therapieverschärfend ohne Einheitspartei.