Fall Honecker: Justizpossen vom Feinsten

■ Jetzt soll Honecker wieder nach Berlin kommen: Prozeß geht am 8. Februar weiter / Justizsenatorin gab Staatsanwaltschaft Formulierungshilfen bei Beschwerden / Schriftstellerin schrieb über...

Berlin (taz) – Eben noch hatte man sich der neuen Sprachregelung notgedrungen gefügt. Man hatte nicht mehr „Honecker-Prozeß“ geschrieben, sondern vielmehr „Keßler-Prozeß“ oder der „Prozeß gegen Keßler, Streletz und Albrecht“. Man hatte die liebgewonnene Gewohnheit fallengelassen – und nun das. „Der Honecker-Prozeß wird am 8. Februar fortgesetzt“, sagt Justizpressesprecher Bruno Rautenberg. Justizposse vom Feinsten. Die Einstellung des Verfahrens gegen Honecker am 13. Januar hatte außerhalb der Hauptverhandlung stattgefunden – was nicht zulässig ist – und war deshalb wieder aufgehoben worden. Nun wird das DDR-Oberhaupt für den 8. Februar über die deutsche Botschaft in Chile nach Berlin-Moabit vor die 27. Große Strafkammer geladen. „Für den Fall, daß Sie zu diesem Termin nicht erscheinen sollten“, so der Vorsitzende Richter Boß an Herrn Honecker, „bestünde die Möglichkeit einer Fortsetzung der Hauptverhandlung in ihrer Abwesenheit“. Gleichzeitig glaubt natürlich niemand ernstlich daran – oder etwa Sie, Herr Boß? –, daß der Greis sich noch einmal in der Turmstraße in Berlin-Moabit einfinden wird.

Eine andere Justizposse spielte sich mittlerweile außerhalb der Gerichtsräume ab. Der Berliner Generalstaatsanwalt beim Kammergericht Dieter Neumann wollte sich nicht zufriedengeben. Die Entscheidung des Berliner Verfassungsgerichts, welches die Menschenwürde des ehemals mächtigsten Bürgers der DDR durch das Berliner Landgericht mißachtet sah, sei „geradezu absurd“. „Die Frage der Verhandlungs- und Haftfähigkeit des Angeklagten sei während des gesamten Strafverfahrens durch Sachverständige“ überprüft worden. Die Würde Honeckers sei immer gewahrt geblieben.

Tatsächlich hatten die Staatsanwälte während des Prozesses zusammen mit dem Nebenkläger Hanns-Ekkehard Plöger immer gegen eine Entlassung Honeckers und Einstellung des Verfahrens gesprochen. Ein Gutachten von Dr. Platz, das die drohende Haft- und Verhandlungsunfähigkeit Honeckers darlegte, hatte sie in verworfen. Von ihr stammte auch das Wort, daß der Prozeß die erlöschenden Lebensgeister Honeckers befördern würde und sich nicht notgedrungen negativ auf dessen Gesundheitszustand auswirken müsse.

Neumanns Erklärung zog Kreise. Zunächst gab es einen Brief der Honecker-Anwälte an die „Sehr geehrte Frau Professor Dr. Limbach“. Die Verteidiger baten die Justizsenatorin eindringlichst, „darauf hinzuwirken, daß Herr Generalstaatsanwalt Neumann sich in Zukunft einer angemesseneren Sprache gegenüber dem höchsten Berliner Gericht befleißigt“. Die Anwälte Honeckers als Anwälte der Berliner Verfassungsrichter?

Zu diesem Zeitpunkt allerdings wußten die Verteidiger noch nicht, was der Berliner Tagesspiegel kurz darauf der interessierten Leserschaft darlegte. Generalstaatsanwalt Neumann hatte nicht etwa hinter dem Rücken der Senatorin oder gegen den Willen derselben seine Schmähschrift verfaßt; vielmehr waren die Zeilen im Hause von Frau Limbach gewogen und für gut befunden worden. Sie verhehlte nicht, daß sie die Erklärung zuvor gesehen habe und daß in der Senatsverwaltung für Justiz „Formulierungshilfe geleistet worden ist“. Auch betonte sie, daß sie Verständnis für den Generalstaatsanwalt habe, „seine Mitarbeiter vor dem Vorwurf zu schützen, sie hätten die Menschenwürde eines Angeklagten mißachtet“. Einen hübschen Versprecher hat Frau Limbach sich dann in einem Interview am Montag abend in der Berliner Abendschau erlaubt. Auf die Frage, weshalb sie sich gegenüber Neumann so konsiliant verhalten habe, antwortete sie: „Ich habe keine Veranlassung gesehen, mich ihm in die Arme zu werfen“ – sagen wollte sie: „Ich sah keine Veranlassung, ihm in den Arm zu fallen.“ Nicht gerade in den Armen, aber dennoch zu dicht an der Seite ihres Mannes blieb Irene Dische, die Ehefrau des Honecker-Anwalts Nicolas Becker. Die Schriftstellerin blieb am 17. Dezember im Gerichtssaal, als das gemeine Volk und die gemeine Presse sich hinausbegeben mußte, weil das Gutachten über den Todkranken unter die Lupe genommen wurde. Später schrieb sie dann für den „The New Yorker“ ein kleines Stück, daß den Justizpressesprecher Bruno Rautenberg erboste: „Die Veröffentlichung mit Einzelheiten über die nichtöffentliche Anhörung stellt sich als Mißbrauch dar.“ So sieht das auch der Nebenklagevertreter Hanns-Ekkehard Plöger, der nun gegen die Kammer zum x-ten Male einen Ablehnungsantrag stellte. Daß einer Journalistin zu einer nichtöffentlichen Sitzung Zugang gewährt wurde, findet er unmöglich. Julia Albrecht