Ethnischer Zündstoff geschickt instrumentalisiert

■ Für die Roten Khmer ist neben einem „vietnamesenfreien“ Kambodscha die Kor- rektur der Grenzen eine wichtige Vorbedingung für ihre Teilnahme an den Wahlen

Wie die drei übrigen ehemaligen Bürgerkriegsfraktionen Kambodschas hatten auch die Roten Khmer im Oktober 1991 das Friedensabkommen von Paris unterschrieben. Im Laufe des darauffolgenden Jahres schoben sie dann aber eine Reihe von zusätzlichen Bedingungen nach, von denen sie ihre Beteiligung an den Wahlen abhängig machten. Die erste Forderung ihres nominellen Führers Khieu Samphan zielte auf die sofortige Ablösung der von den Vietnamesen 1979 eingesetzten Regierung unter Ministerpräsident Hun Sen, die im übrigen auch von den Vereinten Nationen nicht anerkannt wurde.

Als nächstes verlangten die Roten Khmer den Abzug aller vietnamesischen Truppen aus Kambodscha. Für deren Präsenz jedoch, argumentieren die Vertreter der UNO-Übergangsverwaltung in Kambodscha (UNTAC), gibt es keine Beweise – jedenfalls nicht innerhalb der von Vietnam akzeptierten Grenzen. Diese Forderung wurde später um die Aussiedlung „aller Vietnamesen“ erweitert; sie betrifft also auch jene Angehörigen der vietnamesischen Volksgruppe, die bereits vor 1979 in Kambodscha gelebt hatten.

Stolperstein ist für die Roten Khmer das Wahlgesetz, das von der UNTAC entworfen wurde. Danach sollen alle Einwohner Kambodschas ab dem 18. Lebensjahr wahlberechtigt sein, wenn ihre Eltern – oder falls sie außerhalb des Landes geboren wurden: ihre Großeltern – aus Kambodscha stammen. Nach Auffassung der Roten Khmer würde dies bedeuten, daß auch viele in Kambodscha lebende Vietnamesen mitwählen könnten – über ihre Zahl gibt es weit auseinandergehende Schätzungen, die von mehreren hunderttausend bis zu zwei Millionen reichen. Und das würde wiederum die Position der Hun-Sen-Fraktion stärken.

Mit diesem Thema, das den ethnischen Konfliktstoff im Lande ordentlich anheizte, fanden die Roten Khmer auch die Unterstützung der anderen im Nationalrat versammelten Fraktionen – außer natürlich den Vertretern der Regierung Hun Sens. Daraufhin erklärte der US-Botschafter Charles Twining: „Mein Alptraum ist es, eines Morgens aufzuwachen und zu sehen, wie tote Vietnamesen den Mekong hinuntertreiben.“ Auf einer Pressekonferenz erwiderte Rote-Khmer-Chef Khieu Samphan unmißverständlich: „Die UNTAC muß die Dringlichkeit einer Lösung der vietnamesischen Siedler-Problematik begreifen, denn sie war ein Teil der Pläne der früheren Besatzungsmacht, Kambodscha zu vernichten. Wenn das kambodschanische Volk aber keine friedliche Lösung dieses Problems erkennen kann, wird es zu anderen Mitteln greifen. Auf diese Weise kann der Alptraum des Botschafters schnell Wirklichkeit werden.“ Tatsächlich hat es in den vergangenen Monaten bereits mehrfach Überfälle auf vietnamesische Fischer und Bauern gegeben, einige mit tödlichem Ausgang.

Neben einem „vietnamesenfreien Kambodscha“ fordert die Rote- Khmer-Führung die Korrektur der Grenzen zu Vietnam. Im August vergangenen Jahres verlangte Khieu Samphan, daß die drei mit der vietnamesischen Regierung geschlossenen Grenzverträge für ungültig erklärt werden – auch dies eine Vorbedingung für die Durchführung von landesweiten Wahlen.

Mit diesem geschickten politischen Schachzug, der ihnen auch von den anderen Fraktionen Beifall einbrachte, nahmen die Roten Khmer Bezug auf die Pariser Vereinbarungen, nach denen die Wahlen auf dem „gesamten Territorium Kambodschas“ stattfinden sollen.

Khieu Samphan behauptet aber – sicher zu Recht –, daß „Teile Kambodschas“ noch von den Vietnamesen besetzt seien. Ohne die Rückgabe dieser Gebiete könnten, so die Position der Roten Khmer, auch die Wahlen nicht flächendeckend durchgeführt werden.

Im Grenzstreit sind sich die Fraktionen einig

Wenn man sich daran erinnert, daß der vietnamesisch-kambodschanische Konflikt anfänglich nicht etwa aufgrund von Greueltaten begonnen hatte, die Anhänger des berüchtigten Rote-Khmer-Chefs Pol Pot in den Jahren ihrer Regierungszeit (1975–78) verübten, sondern wegen umstrittener Grenzgebiete, dann haben die Roten Khmer hier ein diplomatisch hochbrisantes Terrain gewählt. Und dabei werden sie von der Mehrheit der kambodschanischen Bevölkerung unterstützt. Denn auch die nichtsozialistischen Kräfte im Obersten Nationalrat – in dem neben den Roten Khmer und der Regierung Hun Sen auch die Sihanoukisten und die Fraktion des ehemaligen Ministerpräsidenten Son Sann vertreten sind – sind der Auffassung, daß die von den Vietnamesen als „Rucksack-Regierung“ eingesetzte Hun-Sen- Gruppe damals sehr großzügig mit der Grenzziehung umgegangen sei. Auch wenn sie wohl keine andere Wahl gehabt habe. Der Vorsitzende des Nationalrats, Prinz Sihanouk, sagte dazu: „An einigen Stellen haben die Vietnamesen (mit Zustimmung von Hun Sen) die Grenzsteine bis zu 20 Kilometer nach Kambodscha hinein verschoben. Wir haben nicht nur Land verloren, sondern auch die Menschen. Sie wurden gezwungen, Vietnamesen zu werden.“

In diesem Grenzstreit geht es aber auch um die „historischen Gewässer“ von Kambodscha, deren Ausdehnung in einem Vertrag vom 7. Juli 1982 in Ho-Chi-Minh- Stadt festgelegt worden war. Mit staatlicher Unterstützung wurden nun im Sommer 1992 vietnamesische Siedler zum Tho-Chu-Archipel gebracht, der südlich der kambodschanischen Insel Phu Quoc liegt.

Auf diese Weise machte die vietnamesische Regierung schon frühzeitig ihren Anspruch auf die fischreichen Gewässer geltend, in denen es, wie es heißt, auch Öl- und Erdgasvorkommen gibt. Hans Ulrich Luther