Den Geist zu schulen dauert etwas länger

■ Capoeira und Tai-Chi: Von Kampf, Tanz, Entkrampfung, Konzentrationsschulung, großer Geduld und europäischen Fans

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Konzentrationsschulung, großer Geduld und europäischen Fans

Ein Kreis aus Männern schlägt mit verschiedenen Percussionsinstrumenten den Rhythmus. Ein Vorsänger intoniert ein Lied, und der Chor der Kämpfer antwortet. Im Kreis zwei Kämpfer, die sich im Takt bewegen, ihre Oberkörper wiegen wie in Trance, ein Rad wird geschlagen — und zack: ein Bauchtritt! Die Trommeln verändern ihren Rhythmus. Die zwei Kämpfer, schweißglänzend, umkreisen sich weiter, spielerisch, tänzeln — dann: eine schnelle Armbewegung zum Kopf! Getroffen!

Capoeira ist nicht neu. In den letzten Jahren wurde die alte Kampftanzkunst wiederentdeckt. Entwickelt wurde Capoeira im vorigen Jahrhundert in Brasilien. Der Ursprung liegt in der damaligen Situation der unterdrückten schwarzen Sklaven, die sich ihrer weißen Herren erwehren wollten. Ihnen war das Kampftraining untersagt. So gaben sie vor, Tänze zu üben. Aus diesen Übungen entstand die Mischung aus spielerischem Tanz und hartem Kampf: Capoeira.

Trance, Dialog, Täuschung, Tanz und Kampf, all dies gehört zu Capoeira. Die verschiedenen Elemente drücken einen für Europäer fremden Lebensstil aus, sie vermitteln ein lebendiges Körpererlebnis. Diese Fremdheit und Leichtigkeit, zusammen mit der musikalischen Komponente, mag die brasilianische Kampfkunst gerade für Europäer so interessant machen.

Erst 1932 wurde die erste Capoeira-Schule in Brasilien gegründet, mittlerweile gibt es Hunderte von Schulen in Rio und Salvador. In Hamburg lehrt Paulo Siqueira, Capoeira-Meister, diese spielerisch scheinende Kampfart seit 1984.

Zeitgeschichte und Zeitgeist hinterlassen in den vielfältigsten Lebensbereichen ihre Spuren. Das ist beim Kampfsport nicht anders. Die Ursprünge jeder Kampfart lassen sich auf spezifische geschichtliche und gesellschaftliche Bedingungen zurückführen. Gleichzeitig spiegelt sich darin, welcher Kampfsport gerade angesagt ist, auch das jeweilige Bewegungsbedürfnis der Menschen.

Eine andere, fremd erscheinende Sportart ist Tai-Chi, ursprünglich in europäischer Unkenntnis und Ahnungslosigkeit auch Schattenboxen genannt. In China gilt diese uralte Art der Körperertüchtigung als Bewegungtraining für das ganze Volk. Angestellte und ArbeiterInnen treiben in ihrer Mittagspause Tai-Chi zur Entspannung. Doch Tai-Chi fördert nicht nur die Entkrampfung und Versenkung, es schult besonders auch die Konzentrationsfähigkeit und kann nicht zuletzt als Kampfart eingesetzt werden. Dazu muß man allerdings erst meisterhafte Leistungen bringen.

Obwohl die sehr langsamen und fließenden Bewegungen nicht unbedingt schweißtreibend sind, ist Tai- Chi nicht so einfach, wie es aussieht. Jeder kleine Winkel einer Bewegung ist bedeutend. Wegen der ungewohnten Körperhaltungen und der speziellen Atmung kann sich im Anfangsstadium schnell ein Muskelkater anschleichen. Als Grundvoraussetzung für Tai-Chi gilt Geduld: Um die Bewegungsabläufe richtig zu erlernen, braucht es im Schnitt zwei Jahre Training.

Langwieriges Üben ist charakteristisch für alle fernöstlichen (Kampf-)Sportarten. Das läßt sich zurückführen auf die enge Verquickung von Körper und Geist, die ihre Wurzeln in der Philosophie des Zen hat. Während in der westlichen Welt gerne geistlos „rumgeprügelt“ wird, wie zum Beispiel im Boxkampf, besteht das Ziel von Zen-Fans darin, „das Schwert des Gegners mit dem Geist zu zerstören“. Und um den Geist dahingehend zu schulen, braucht es eben etwas länger. Greta Eck