„Mehr klammern!"

■ Auf der Probe von "Wendewut", dem neuesten Stück vom Bremer Tanzchef Hans Kresnik

Der Erich ist gar nicht weg! Da sitzt er ja, ein Hut-Männchen, ein graues Mäuschen-Monster. Sitzt auf dem Stuhl und versteckt sich in seinem erstarrten Dreiviertelmäntelchen. Danach muß er sich an Soldatenhälsen entlanghangeln. „Halt, nochmal, verflucht! Mehr Klammern!“, brüllt ein kleiner Mann mit großer Stimme durchs Schauspielhaus, das ist Kresnik.

Die erste Hauptprobe von Wendewut, dem neuen Stück, das auf dem gleichnamigen Buch von Günter Gaus beruht, macht ihn nervös: Die Bühne ist noch nicht bühnenreif, die Tänzer murmeln zu laut. „Tänzer raus aus dem Parkett, verdammt! Taschen auch! Was rennt ihr ununterbrochen auf der Bühne hin und her, Herrgottnochmal!!“ Das kennen aber alle und sortieren geruhsam ihre Siebensachen. Sowieso hält ihn nichts mehr und er rennt vor und zurück und zupft zimperlich an freifliegenden Decken-Schnüren: „Was sind das hier für Strippen!! Sind die wichtig?? Was ist, wenn da noch ganz andere dran zupfen, Zuschauer zum Beispiel?!!“

Es ist einfach so, daß am Samstag Premiere ist, und die Bühne klemmt und Honecker klammert noch nicht genug. Wie soll da die letzte Reihe merken, daß der Staatsratsvorsitzende eine Marionette ist? Wendewut ist schließlich die Geschichte vom Mitlaufen und Dranhängen, vom früheren Chef der Ständigen Vertretung gleich nach dem Mauerfall geschrieben und heftig attackiert.

Jetzt aber zählen Details. Wie soll die Opernsängerin reinkommen: durch die Tür? Vom Foyer her? Ist sie schon drinnen? Soll sie einen Aktenordner tragen? Wer ist der letzte und macht die Tür zu? Soll sie mit dem Gesicht zur Wand singen? Soll sie trippeln, soll sie schreiten? „Ahh, ich will doch keinen Traviata-Effekt!!“, ekelt sich Kresnik vor der falschen Pathetik — daß da ja kein Plüsch aufkommt! Berg- Effekt geht zur Not: „Technik!! Einmal Echohall bitte!“ Echohall los. „Haalt, noch nicht!! Jetzt! Stop! Okay! Moment! Verdammt!!“ Wenn seine Ideen noch haken, hält man am besten die Luft an. Aber verpassen sollte man seinen Einsatz auch nicht. Also bitte die Szene mit der Mitläuferin.

Amy Coleman, die die Hauptrolle tanzt, muß sich auf Honecker stellen und obenbleiben, als die Rotarmisten ihn Huckepack nehmen. Die Arme schwankt und zittert, Soldatenhöhe plus Honecker plus Rampe, macht gut drei Meter Abgrund. „Okay, so bleiben, Amy!!“, brüllt Kresnik, aber Amy wackelt auch noch beim fünften Versuch derart gefährdet, daß sie sich hinlegen darf. Schade, die Zuschauer in der ersten Reihe hätten prima Schiß gekriegt, so eine wackelnde Mitläuferin gleich über ihnen!

Kresnik ist ein Mann fürs Grobe, ein Ganzkörperzorn, der den Deutschen ihre Häßlichkeit zeigen will und auf die Wirklichkeit reagiert wie ein Kettenhund, wenn die krumme Verwandtschaft kommt. Statt ruhiger, verspricht er, wird er zuverlässig wütender. Noch wütender, darf ich mal fragen zwischendurch, als so schon? Noch wütender. Damit ich was zu freuen habe: der Schluß wird ruhiger.

Aber was gilt: Die Post muß abgehen, der Kopf am besten auch; und das Herz muß brennen im Theater, sonst ist alles nix. Oder soll er Lichterketten machen auf der Bühne? Eben. Und wer nicht mit ihm fiebert und lieber Vogelhändler macht, der soll raus aus dem Theater oder warten, bis er selbst ein Vogel ist. Zur Not ein komischer. Jedenfalls das alles ohne Kresnik.

Obwohl, den Alibi-Hecht unter lauter Karpfen-Langeweile macht er auch nicht. Und daß Intendanten sich heute mit Daimler-Benz-Bossen verwechseln, das ist doch zum Kotzen! Und auch, daß die meisten Schauspieler so bequem unpolitisch geworden sind, das empört einen, der noch seine Mao-Bibel zum Nachschlagen hat.

Wehe trotzdem, jemand quatscht auf der Probe und macht Vorschläge, wenn Kresnik grade was Neues einfällt: „Ich bin Karajan!“, brüllt er dann wie ein Rumpelstilzchen, grinst stolz über seine majestätische Beleidigung und verdonnert die Scheinwerfer zu blitzen. Claudia Kohlhase