Reine Lehre, schmutziger Krieg

■ Debatte über militärische Intervention in Bosnien spaltet die Grünen: Minderheit plädiert für Aufgabe der streng pazifistischen Linie / Eingreifmittel bleiben unklar

Kreuzberg. Auch die „reine Lehre“ gönnt sich Emotionen. Mit einem hinausgeschrieenen Bekenntnis zur Gewaltfreiheit stürzte ein aufgebrachter Pazifist nach dreieinhalbstündiger Debatte am Mittwoch jene Diskussion ins Chaos, in der die Grünen/Alternative Liste in den Räumen der „Südosteuropa Kultur“ über Wege zur Beendigung des Mordens in Bosnien-Herzegowina reden wollten. Als „reine Lehre“ gilt die traditionell grüne Überzeugung von der Möglichkeit, alle Konflikte gewaltfrei zu lösen. Initiiert aber hatten die Debatte jene Grünen-Mitglieder, deren Minderheitenposition spätestens seit der Landesdelegiertenkonferenz vom vergangenen September feststeht.

Für diesen Flügel skizzierte die Europa-Abgeordnete Eva Quistorp ihren Weg aus der Friedens- und Frauenpolitik hin zu der Überzeugung, daß angesichts der Todes- und Vergewaltigungslager der Einsatz „sehr begrenzter, sehr effizienter militärischer Mittel“ unter Führung der UNO nötig sei. Die österreichische Grünen-Abgeordnete Mariana Grandits warnte vor dem Vorbildcharakter, der von ungehinderter Aggressionspolitik in Ex-Jugoslawien ausgeht, und forderte gegen die grüne Pazifismustradition, „daß man diese Diskussion führen dürfen muß“.

Aber schon die Dringlichkeit eines Eingreifens in dieser Region wollte Hans-Peter Hubert von der Bundesarbeitsgemeinschaft Frieden der Grünen nicht eingestehen: „Umgebracht wird in Europa an vielen Stellen, in Nordirland, auf Korsika, im Baskenland.“ Die Debatte, so beklagte er, sei den Grünen „aufgedrängt“ worden von Ex-DDR-Bürgerrechtlern aus Ärger darüber, daß diese sich nicht um die Menschenrechte in der DDR gekümmert hätten. Ebenso wie Otfried Nassauer vom Informationszentrum für transatlantische Sicherheit bestritt er, daß es um die Durchsetzung von Menschenrechten gehe: Es komme doch in der Asyldebatte auch niemand auf die Idee, gegen deutsche Behörden Militär zur Durchsetzung des Rechts auf Freizügigkeit einzusetzen oder Soldaten zur Beendigung des Hungers nach Malawi oder in den Sudan zu schicken.

Die Vertreter der „reinen Lehre“ auf dem Podium verwahrten sich ein ums andere Mal gegen eine „Emotionalisierung“ der Diskussion. Hubert fiel gar Gastgeberin Bosiljka Schedlich brüsk ins Wort, als die aus Kroatien stammende Leiterin des Südosteuropa- Zentrums eindringlich mahnte, es seien eben die Schwächsten und die Unbewaffneten, die nun getötet würden – die Schilderung war ihm offenbar zu eindringlich. Ralf Eilers (Gesellschaft für bedrohte Völker) hatte von seiner Beobachtung berichtet, daß – wie er selbst auch – jene eher für einen Militäreinsatz eintreten, die nach Bosnien und Kroatien gefahren waren und dort mit Flüchtlingen sprachen.

Auch wenn Quistorp und Grandits neben dem Einsatz „elektronischer Kampfführungsmittel zur Ausschaltung militärischer Kommunikation“ wenig konkrete Schritte aufzeigten: Der Hinweis, daß auch die Grünen für Machtausübung oder Untätigkeit in Europa mitverantwortlich sind, kam nicht von Vertretern der „reinen Lehre“. Am Ende blieb der Eindruck, den ein schier verzweifelter Ralf Eilers schon bald am Abend in die Worte gefaßt hatte: „Es wird relativiert, bis überhaupt nichts mehr klar ist.“ Hans Monath