Das Als-ob-Gefühl

Es gab sie, und sie lassen sich sogar noch singen – wenngleich nicht mit der genretypischen Leichtigkeit: Chansons aus Theresienstadt mit Alexander Waechter & Tanja Golden  ■ Von Elisabeth Eleonore Bauer-Büning

Man muß schon aus Wien kommen, um zu bemerken, daß in der Berliner Luft alles mögliche liegt, bloß keine Musik mehr. Jedenfalls nicht diese hier: das gemeine kleine Couplet und die in den Hüften gewiegte Kabarett-Schnulze mit der scharfen Pointe. Auch wenn die Stadt, was nicht jede von sich sagen kann, nun gar drei feste Häuser hat für leichte Unterhaltungskunst – was will das schon heißen, wo doch eben der just das Leichte ziemlich abhanden gekommen ist. Der Grat zwischen Glanz und Pein ist sowieso nirgends so schmal wie auf dem Brettl und der Operettentreppe. Dazu kommt, daß die leichte Muse teils rechtzeitig aus Deutschland ausgewandert, zum größeren Teil allerdings in den Konzentrationslagern ermordet worden ist. So daß für die deutsche Nachkriegsoperette nur noch das Stampfen der Rökk und das Röhren von Schock blieb. Sie hat sich, im Unterschied zum Kabarett, von dem Kahlschlag nie wieder erholt. Auch nicht im Osten. Es ist also kein Wunder (freilich kaum zu fassen), wenn, wie kürzlich geschehen, eine angesehene hiesige Zeitung, über die Pläne des Metropol-Theaters berichtend, den verjagten Operettenfürsten Oscar Straus schlankweg verwechselte mit dem Opernzaren Richard Strauss, der bekanntlich eine einträgliche Funktionärskarriere bei den Nazis hat machen können. Der Strauss mit „ss“ ist längst übergründlich rehabilitiert, der mit nur einem „s“ so sehr vergessen worden, daß kaum einer noch seine Schlager zu singen und niemand mehr zu sagen weiß, was weiter mit ihnen geschah: zum Beispiel, welch aktuelle neue Texte man dazu später gesungen hat im Theresienstädter Ghetto. Oder was für brillant bösartige Verse Leo Strauss neu erfand zu dieser Musik, etwa für das berühmte Kabarett „Karussell“ von Kurt Gerron. Das „Karussell“ spielte in Theresienstadt nur kurze Zeit – Kurt Gerron wie auch Leo Strauss (ein Sohn von Oscar Straus) gingen im Herbst 1944 auf Transport nach Auschwitz ins Gas.

Theresienstadt (Terezin) war keine reine Tötungsfabrik wie die KZs. Theresienstadt war etwas Besonderes: ein Sammel-, Durchgangs- und manchmal sogar ein Vorzeigelager (gedacht für die Besichtigung von internationalen Rot-Kreuz-Delegationen). In Theresienstadt war zwischenzeitlich die intellektuelle und künstlerische Elite halb Europas kaserniert. Theresienstadt wurde anfangs als „Alters- und Ruhesitz“ für verdiente jüdische Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens deklariert. Das Wichtigste aber war wohl: auch in Theresienstadt litten, hungerten, froren und starben Zigtausende – doch hatten sie, im Unterschied zu KZ-Häftlingen anderswo, wenigstens zeitweise einen blassen Schatten Hoffnung. Und sie hatten eine Bibliothek, einen „Bürgermeister“, Theaterabende, Opernaufführungen, Konzerte, Uraufführungen, wissenschaftliche Vorträge, eine Jazzkapelle sowie das Kabarett.

Diese legendäre Theresienstädter Kulturblüte – eine lachende, krachende Lust an den schönen Künsten mitten in der Hölle, hat selbst etwas von einem schwarzen Kabarett. Weshalb Leo Strauss das Ghetto auch umtaufte in die „Als- ob-Stadt“: „...es gibt auch ein Kaffeehaus gleich dem Café de l'Europe, und bei Musikbegleitung fühlt man sich dort als ob.“

Alexander Waechter, der dieses Straus'sche Chanson heute abend singen wird, kommt aus Wien. Er sagt: „Hier in Deutschland kennt man sich wohl nicht so gut aus mit Theresienstadt.“ Das stimmt. Auschwitz-Birkenau zum Beispiel ist viel „populärer“. Außerdem kennt man sich aber hierzulande auch schlecht aus mit vernichteter Unterhaltungskunst. Zwar kümmert sich seit kurzem ein akademischer Verein („musica reanimata“) um Musik aus dem Ghetto, aber vorwiegend, fast exklusiv, um die E-Musik. Waechter meint weiter: „Geschichten aus Theresienstadt sind möglich, und das Zuhören geht auch. Bei Auschwitz ist das anders. Das läßt sich nicht erzählen, und keiner kann das Zuhören ertragen.“ Auch das stimmt – vielleicht mit ein Grund dafür, daß das Thema Auschwitz zwar überall plakativ aushängt, aber nicht mehr wirklich wahrgenommen wird.

Seit Oktober bereits erzählt Alexander Waechter auf der Bühne im Wiener Theater an der Josephstadt echte Theresienstädter Geschichten – was trotz kühlem Tonfall manchmal doch ein klein wenig unerträglich wird. Aber er hat auch Ghetto-Witze ausgegraben, die tatsächlich zum Totlachen sind. Und vor allem: Er singt. Gemeinsam mit Tanja Golden und am Piano professionell begleitet von Sergei Dreznin (der auch einen Teil der verschollenen Musikarrangements ergänzt hat) führt Alexander Waechter durch ein sensationelles Theresienstädter Kabarettprogramm: mit Texten von Walter Lindenbaum, Leo Strauss, Peter Kien und Karel Svenk sowie Musik von Oscar Straus, Martin Roman, Fred Raymond und sogar Franz Lehar. In der Pause kann, wer will, auf Video die rekonstruierten Reste jenes Propagandafilms besichtigen, den Kurt Gerron für die Nazis hat drehen müssen und der unter dem falschen Titel „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ berühmt und berüchtigt geworden ist.

Ab heute gastieren Waechter/ Golden für drei Tage mit diesem Programm in Berlin. Das ist einmalig und kommt so schnell nicht wieder.

Am 29./30./31. Januar jeweils um 20.00 Uhr im Schloßpark-Theater, Schloßstraße 48, Steglitz