Ungefilterte Argumente

■ betr.: "Das kleinere Übel", taz vom 23.1.93

betr.: „Das kleinere Übel“, taz- Kommentar vom 23.1.

Es ist schon traurig, ungefiltert die „Argumente“ von Verkehrsminister Krause, Senator Haase und der Kanalbau-Lobby zum Wasserstraßen- und Verkehrswegeausbau wiederzufinden.

1.Daß „unseren Straßen“ durch den Wasserwegeausbau „ein paar hunderttausend Lastwagen“ erspart würden, ist ein glatter Fehlschluß. Wenn immer mehr Lkw im Güterverkehr eingesetzt werden, so liegt das wohl zuallerletzt am schlechten Ausbauzustand oder gar Kapazitätsengpässen der Wasserwege. Es liegt vielmehr daran, daß im Straßengütertransport die Verursacher für die entstehenden ökologischen Folgekosten nicht aufkommen müssen. Nur durch Subventionsabbau sind die Probleme des Güterverkehrs in den Griff zu bekommen. Der Neu- und Ausbau von Kanälen verstärkt dagegen mit neuen Subventionen zu Lasten der Umwelt gerade eine unsinnige Konkurrenz zwischen Bahn und Binnenschiffahrt.

2.Daß der Verkehrswegeausbau die Voraussetzung für eine florierende Wirtschaft in den neuen Bundesländern sei, ist eine weit verbreitete, aber deshalb noch nicht richtige Ansicht. Die gute Erreichbarkeit der neuen Märkte im Osten macht es den Westkonzernen nämlich auch leicht, auf Produktionsstätten vor Ort zu verzichten. Der Ausbau von Verkehrswegen begünstigt viel eher wirtschaftliche Konzentrationsprozesse als die wünschenswerte Dezentralisierung.

3.Die simple Logik, Schiene und Wasser seien die umweltfreundliche Alternative zum Straßenverkehr und deshalb um jeden Preis zu fördern, führt sich wohl selbst ad absurdum: Bewertet man zum Beispiel auch den Energieverbrauch und die Umweltzerstörung beim (unnötigen!) Kanalbau, so bleibt von dem Umweltvorteil der Binnenschiffahrt nicht mehr viel übrig. Ähnliches gilt leider auch für den Hochgeschwindigkeitsverkehr der Bahn.

4.Mit dem Bauschutt vom Potsdamer Platz hat der geplante Wasserstraßenausbau wirklich nichts zu tun. Von den Plänen, auch die Stadtspree noch auszubauen, hat man selbst beim Senat Abstand genommen: Es hätten fast alle Brücken angehoben werden müssen. Der Ausbau der Wasserstraßen kann außerdem erst zu einem Zeitpunkt realisiert sein, zu dem der Bundeskanzler, Daimler und Sony nach den Vorstellungen des Senats schon mit allen Tunnelröhren und Neubauten versorgt sind. Der Baustellenverkehr ließe sich vorher trotzdem zum guten Teil über den Wasserweg abwickeln, sofern die Schleusen dann nicht gerade wegen Ausbau gesperrt sind... Joachim Schmitt,

Berlin-Charlottenburg

[...] –Auf dem Wasser werden in erster Linie Alternativen zum Schienengüterverkehr angeboten, der Lkw ist allein schon von seiner Flexibilität her kaum Konkurrent, sondern komplementär zum System Wasserstraße.

–Der Wegekostendeckungsgrad der Wasserstraßen liegt bei zehn Prozent, der der elektrifizierten Bahn bei 90 Prozent, der des Lkw bei 50 bis 60 Prozent, bei ausländischen Lkw bei null bis acht Prozent. Die gigantischen sozialen und ökologischen Folgekosten sind hier noch gar nicht berücksichtigt! Noch Fragen zu Wettbewerbsverzerrungen durch staatliche Subventionierung?

–Unter Berücksichtigung der jahrzehntelangen Planungs- und Bauzeiten für die Wasserstraßen und Häfen sollte eigentlich auffallen, daß bis dahin der große Bauboom in Berlin sich schon erledigt haben sollte.

–Bereits jetzt ist Binnenschiffahrt auf vorhandenen Wasserstraßen und Häfen möglich und noch Kapazitäten frei.

–Der angestrebte weitere Ausbau der Wasserstraßen dient lediglich der Möglichkeit, der Binnenschiffahrt noch größere Schiffseinheiten (Schubverbände mit 180 Meter Länge) zu ermöglichen und Verschrottungsprämien für kleinere Schiffe einzustreichen, letztlich zur Stützung der Werftindustrie.

–Verkehrsvermeidung muß Priorität haben. Diese Art des Wasserstraßenausbaus dient aber lediglich dazu, insgesamt die Kapazitäten des Verkehrssystems zu erhöhen, denn solange nicht jedem Verkehrsträger seine Kosten in Rechnung gestellt werden, wird es diese staatlich subventionierte Verkehrserzeugung geben, und es wird sich nichts verlagern, sondern insgesamt ausweiten. Verlagerung findet höchstens zu Lasten der jahrzehntelang ausgebluteten Bahn statt. Das Ganze ist übrigens ein Lehrbeispiel dafür, wie falsche Preise durch Externalisierung von Kosten und/oder staatliche Subventionierung zur Vergeudung von Ressourcen führen.

–Der Kanal- und Hafenbau ist eine Aktion zur Umverteilung öffentlicher Mittel in die Taschen der Baumafia. Bei der wirtschaftlichen Konstitution der Bundesrepublik bis zur Wende mag eine solche Fehlinvestition und Klientelbedienung – finanzwirtschaftlich betrachtet – nicht so tragisch gewesen sein, jetzt aber sind bei öffentlichen Investitionen klare Prioritätensetzungen nötig, das heißt nur noch Projekte, die langfristig sozialen und ökologischen Nutzen haben, sind vertretbar. Einfacher gesagt: Jede Mark für die Kanalverbreiterung fehlt der Schiene! Armin Sauer, Berlin 44