Le postmodernisme n'existe pas

Zu Boris Groys' Theorie des „Neuen“ – Versuch einer Kulturökonomie  ■ Von Brigitte Werneburg

Ein Teil dieser Rezension erschien bereits am 18.Januar. Hier nun der vollständige Text. Wir bitten um Entschuldigung.

Adornos Diktum von der Unwiderstehlichkeit des Neuen als der seit Mitte des 19. Jahrhunderts zentralen Kategorie der Moderne hat die postmoderne und poststrukturalistische Theorie für obsolet erklärt. Sie hat das Neue unter das unendliche Spiel des Begehrens, des Dialogs, der Interpretation, des Erhabenen etc. subsumiert, und dergestalt gezähmt beeindruckt es nicht mehr sonderlich. Man harrt nicht mehr in beglückter Nervosität der letzten und der allerletzten Dinge, wiewohl es das Neue durchaus gibt.

Selbst Aids, das tödliche Neue, der maskierte Virus, der 1981 die Welt überraschte und ihre Zeitrechnung neu definierte – in die Zeit davor und danach – scheint die Faszination am bewegten Stillstand nicht gemindert zu haben. Aids, eine profane Krankheit, hat die Welt, Kultur und Künste revolutioniert, indem es die Zeitspanne entscheidend verkürzt hat, die vielen Künstlern für ihr Werk bleibt. Das bedingt, unter anderem, eine andere Organisation von Leben und Kunst und führt – was ebenfalls neu ist – zu posthumem Ruhm noch zu Lebzeiten. Diese Veränderungen scheinen dem zur Moderne differenten Zeithorizont der Postmoderne zuzuarbeiten. Die neuen Formen politischer Kunst, die Aids auf den Weg gebracht hat, die neuen Formen von politischem Kulturaktivismus sind in Permanenz veranstaltete innovative Ad- hoc-Protestformen (z.B. zaps).

Dem also derzeit wenig aktuellen Thema des Neuen hat der 1981 aus der Sowjetunion nach Deutschland emigrierte Kunstkritiker Boris Groys eine Untersuchung gewidmet. Soll sein „Versuch einer Kulturökonomie“ erneut die Unwiderstehlichkeit des Neuen belegen? Was ist das Neue? Wenn nicht unwiderstehlich, dann zumindest unvermeidlich. Weil die Macht der Zeit, Antipode der Wahrheit und daher als modische Torheit gescholten, die Innovation bedingt. Paradox: neu wäre es, wenn nichts Neues mehr geschähe. Diese logische Unmöglichkeit führt Groys dazu, die Unumgänglichkeit des Neuen voraussetzend, das Neue als „einzige Realität, die in der Kultur zum Ausdruck gebracht wird“, zu bestimmen. Das Streben nach dem Neuen manifestiert die Realität unserer Kultur gerade dann, wenn es von allen traditionellen Bestimmungen – die das Neue als Utopie, als das Authentische oder als den Ausdruck menschlicher Willensfreiheit benennen – befreit wahrgenommen wird, etwa im System der Mode.

Zunächst ist Mode der Name für radikale Geschichtlichkeit – „nicht jener Geschichtlichkeit, die innerhalb eines bestimmten theoretischen Diskurses thematisiert wird, sondern der Geschichtlichkeit all jener Diskurse selbst, die über das Geschichtliche sprechen wollen“. Mode schafft eine Wertdistanz, die zwischen ,unseren‘ und ,anderen‘ scharf unterscheiden läßt, dabei werden einzelne Unterschiede auf Kosten anderer als besonders wertvoll und entscheidend definiert. Mode – „das Neue ist wertvoller als das nur Differente, es beansprucht für sich gesellschaftliche Bedeutung und will für seine Zeit Wahrheit sein“. Das Neue als das Modische hat erfahrungsgemäß die größten Chancen, auch für die Zukunft im kulturellen Gedächtnis der Gesellschaft aufbewahrt zu werden, in ihren Archiven, Museen und Bibliotheken; obwohl es gerade keine absolute Geltung für sich beansprucht. Groys sieht das Neue allerdings keinesfalls einem unendlichen Spiel der Differenzen, von dem eine poststrukturalistische Theorie ausgeht, entstammen, noch sieht er darin eine Offenbarung des Verborgenen. Groys lehnt vorgängige, unbewußte ,primäre‘ Differenzierungsprozesse als Fiktion ab und argumentiert Niklas Luhmann ähnlich, der Differenzierung als eine Operation sieht, in der etwas ausgeschlossen wird, wobei dem Beobachter klar ist, warum es ausgeschlossen wird. Groys: „Jedes Ereignis des Neuen ist im Grunde der Vollzug eines neuen Vergleichs von etwas, das bis dahin noch nicht verglichen wurde, weil niemandem dieser Vergleich früher in den Sinn kam.“ Das Neue differenziert, und dieser Prozeß ist nach Groys weder auf ökonomische Zwänge und kapitalistische Marktstrategien zu reduzieren, noch entstammt er „der Tiefe der menschlichen Freiheit“.

Wie aber kommt man also drauf, das Neue zu rekombinieren? Im zweiten Hauptteil, „Innovationsstrategien“ betitelt, untersucht Groys das „Neue im Archiv“ (so die Überschrift des ersten Hauptteils) und seine Beziehung zum „profanen Raum“. Denn Groys' These ist es, daß „die Umwertung der Werte die allgemeine Form der Innovation (ist): das als wertvoll geltende Wahre oder Feine wird dabei abgewertet und das früher als wertlos angesehene Profane, Fremde, Primitive oder Vulgäre aufgewertet“. Groys zitiert für diese Strategie den Kronzeugen Duchamp. An seinem Beispiel exemplifiziert er die sich immer weiter verfeinernden Umwertungen im Bereich der Kunst und ihre sich gleichermaßen ausdifferenzierenden Interpretationen. Diese Interpretationen, angefangen vom Ende der Kunst bis hin zum Ende des Museums, könnten allerdings auch die postmodernen Theorien bestätigen: das Neue als Spiel des Neuen und nicht als neue Realität. Denn insofern Groys unter Realität „das Unausweichliche, Unverfügbare, Unverzichtbare“ versteht und mehr nicht, scheint es nicht plausibel, wie die Kontingenz der Realität, die „Idiotie des Realen“, wie Clément Rosset sagt, jemals zu etwas wie dem (bedeutsamen) Neuen führen sollte. Wie wäre Duchamp sonst denkbar? Als Währungsreformer der Moderne und nicht als x-beliebiger anonymer faux-monnayeur?

Und noch ein Problem ist zu konstatieren: Duchamp wird als Beispiel für die Moderne genannt, der die Subkultur – also der von den Archiven nicht erfaßte, profane Raum – als Ressource ersten Ranges für die kreative Innovation galt. Nach postmoderner Ansicht gibt es heute allerdings gar keine archivfreien Räume mehr; nicht das Ende der Kunst, wohl aber das Verschwinden des Profanen wäre also zu konstatieren. Groys läßt dies aber nicht gelten. Nur wenn man von etwas Substantiellem ausgeht, so sein Argument, kann dieses auch vernichtet werden. Keine Aufwertung des Profanen also kann dessen Profanität endgültig vernichten oder die Grenzen zwischen der Kultur und den profanen Dingen auslöschen.

Aber mit einem Beispiel aus der „Ökonomieökonomie“ gegen Groys' Kulturökonomie argumentiert: Es bedarf heute keines Goldstandards mehr, um zu wissen, was Dollar, Mark oder Pfund Sterling wert sind. Der Vergleich nicht auf ein Absolutes, sondern ein relativer Vergleich tut es auch, und bislang tut er es sogar besser. Er ist flexibler. Die Folge aber ist: Gold, wenngleich in seiner Substanz unangetastet, hat seine ehemalige Sonderrolle eingebüßt und damit seine Rolle als spekulatives Medium. Nichts ist heute langweiliger als Gold. Das gibt zu denken.

Wenn das Profane nicht mehr hinreichend differenziert ist von Kultur, beziehungsweise in einer ökonomischen Logik aufgehoben erscheint, die auf dem „Streben nach dem Neuen um des Neuen willen“ basiert, einem (offensichtlich universellen) Gesetz, das, nach Groys, „auch in der Postmoderne gilt“, dann verliert das Ästhetische seine Sonderrolle: Es ist nicht alles Gold, was nicht mehr glänzt. So macht sich im dritten Teil des Textes, der dem „innovativen Tausch“ gilt, das Fehlen der Kategorie der ästhetischen Erfahrung negativ bemerkbar. Sie hülfe als Gegenentwurf zur Ästhetisierung der Lebenswelt in der Form unverbindlicher neuerungssüchtiger Umtauscherei die Bedingungen des Neuen weiter aufzuklären.

Es scheint die Frage offenzubleiben, ob durch Groys' Manöver, den Anspruch auf Norm, Authentizität und Utopie – den die Moderne noch an das Neue band – aufzugeben, das Neue zu rehabilitieren ist. Dergestalt wird zwar die Moderne gewissermaßen schon als postmodernes System freier Wechselkurse aufgedeckt und die Postmoderne mit ihrem nur vertagten Anspruch auf normative Kraft als Moderne entlarvt, deren Innovationsstrategien damit gültig bleiben. Doch die paradoxe Situation des Ennui am Neuen sowie die unglaubliche Flexibilität, mit der die aktuelle Kunst- und Kulturszene permanent mit Neuem aufwartet, ist damit unzureichend beschrieben. Kaum begründet ist damit, weshalb es falsch sein soll, dem Neuen – als dem Normalfall, der selten noch irgend etwas zum Besonderen befördert – die „geistreiche Reflexion“ nicht mehr abzugewinnen vermag, die Hegel an die „auffallenden Formen“ anbindet, die Gedanken zusammenbringen, „welche der Ehrlichkeit [halber] weit auseinander liegen“.

Boris Groys: „Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie“. Carl Hanser Verlag, München 1992, 195 S., kt., 36DM