Spielball staatlicher Rivalitäten

Vom Türken zum Muslim zum Türken.../ Die muslimische Minderheit im Osten Griechenlands ist Opfer des alten Machtkampfs mit der Türkei  ■ Aus Athen Takis Gallis

Hikmet Sali, 80, ist ein Mann mit vielen Gesichtern. In Komotini, rund 300 Kilometer westlich von Istanbul in der Region Thrakien geboren, besaß er als Kind die türkische Nationalität. 1918, gleich nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, wurde er zum Muslim erklärt: Griechenland hatte der Türkei den westlichen Teil Thrakiens abgenommen und wollte die Anwesenheit von Türken auf seinem Boden nicht anerkennen. Nach 1931, in einer kurzen Phase der Entspannung auf dem Balkan, griff man auf die alten Bezeichnungen zurück. Sali konnte sich wieder Türke nennen.

Erneut zum Muslim wurde Sali nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, als sich Ankara Nazi- Deutschland und Athen den Alliierten zugewandt hatte. In den fünfziger Jahren fanden sich Griechen und Türken dann als Verbündete in der Nato wieder – das Blatt wendete sich erneut. Türke, so fanden auch die Griechen, sei nun die richtige Bezeichung für Sali. Als 1960 eine neue Krise zwischen den Nachbarländern ausbrach, wurde Sali nochmals zum Muslim umgetauft — wer weiß, für wie lange noch. „Die türkische Minderheit war immer schon ein Spielball in den Händen des griechischen Außenministeriums“, sagt der Athener Soziologe Dimitris Trimis. „Wenn die Beziehungen der Nachbarn gut waren, konnte die Minorität etwas freier atmen, wenn das Gegenteil der Fall war, hat man sie als die fünfte Kolonne der Türkei behandelt.“

Salis Status ist so alles andere als eindeutig. Er ist griechischer Staatsbürger, wird aber dennoch als Ausländer behandelt. Für ihn ist eine Außenstelle des Außenministeriums in der mazedonischen Stadt Kavalla zuständig, die als „Büro für kulturelle Angelegenheiten“ getarnt ist; es kümmert sich sowohl um Fragen von Auslandsreisen wie um Ausbildung und Religion. Hinzu kommen zahlreiche, durch kein Gesetz gestützte Diskriminierungen. So werden für Muslime kaum Baugenehmigungen, Führerscheine oder Jagdlizenzen ausgegeben. Ihre Schulgebäude sind in elendem Zustand. 60 Prozent der türkischen Minderheit sind Analphabeten, dagegen nur 12 Prozent bei den Griechen. Wer in der Türkei studiert, kehrt selten zurück, da die Diplome in Griechenland nicht anerkannt werden. Das Gesetz über die Staatsangehörigkeit läßt gar an Apartheid denken: Es unterscheidet zwischen Personen griechischer und nichtgriechischer Abstammung. Letztere können ihre Staatsangehörigkeit verlieren, wenn sie vor einer Reise „die Absicht“ äußern, nicht mehr zurückkehren zu wollen. Man kann sich vorstellen, daß griechische Beamte diese „Absichten“ auch unterstellen können.

Wirtschaftlich ziehen die 110.000 Türken in West-Thrakien ebenfalls oft den kürzeren. So mußten sie in den letzten siebzig Jahren rund 60 Prozent ihrer Liegenschaften abtreten. Zum Aderlaß führte sowohl die Nichtanerkennung von Besitztiteln aus der Zeit des türkischen Sultanats als auch die großzügige Enteignung türkischen Bodens durch den griechischen Staat. Gleichzeitig wuren die Griechen ermuntert, türkischen Besitz zu erwerben, während es den reichen Türken fast unmöglich gemacht wird, neue Ländereien zu kaufen. Im Januar 1990 ging der griechische Mob sogar in einem Massenangriff gegen die Türken von Komotini vor. Die Polizei schaute auffallend weg.

Auf religiösem und kulturellem Gebiet gibt es keine Einschränkungen. Neuerdings kann die Minderheit sogar zwei Abgeordnete ins Parlament entsenden. Beide, Ahmet Sadik und Ahmet Faikoglu, bezeichnen sich bewußt als Türken und als Vertreter der türkischen Minderheit. Daß ihnen der Boden im Parlament und in der griechischen Öffentlichkeit heiß gemacht wird, gehört ebenso zum griechisch-türkischen Gerangel wie die wachsende Einmischung des türkischen Konsulats in Komotini in die Angelegenheiten der Minderheit. Die griechische Menschenrechtsliga meint dennoch, daß Athen die am wenigsten minderheitenfeindliche Politik auf dem ganzen Balkan verfolgt. Die Abschaffung der administrativen Diskriminierungen wurde inzwischen versprochen, aber noch nicht in die Tat umgesetzt.

Ob dies Hikmet Sali jemals nützlich sein wird, ist mehr als fraglich: Das neue Haus, das er seit über zwanzig Jahren plant, wird er wohl nie bauen können. Vor zwei Monaten beschied ihm das Bauministerium, daß sein Grund enteignet wird, für, wie es darin heißt, „gemeinnützige Zwecke“.