Weiße Zaungäste im schwarzen Krieg

In Südafrikas „Homeland“ KwaZulu hat die Gewalt zwischen Schwarzen-Gruppen auch die Hoffnungen derjenigen Weißen zerschlagen, die auf de Klerks Reformkurs setzten  ■ Aus Durban Henk Raijer und Gunda Schwantje

Sie kehren zurück, wie sie vor Sonnenaufgang den Hügel hinaufgezogen sind: in lockerer Formation, einem versprengten, aber entschlossenen Haufen gleich. Geblendet von einer Abendsonne, die die Zuckerrohrfelder in ein mattes Rotgelb taucht, können wir vorerst nur Umrisse ausmachen: Silhouetten fröhlich singender Gestalten auf dem Nachhauseweg. Bester Laune offenbar, sie könnten von einer Hochzeit kommen oder von einem Fußballspiel. Aber diese Männer gestikulieren mit einem Speer in der einen, einem länglich-ovalen Schild in der anderen Hand, auf dem schmalen Pfad, der hier den grünen Teppich des reichen Natal von den abgenagten Weiden des „Homeland“ KwaZulu trennt.

„Besser, ihr bleibt hinter dem Zaun“, sagt Graig Keegan, „es könnte sein, daß sie getrunken haben, da sind sie unberechenbar.“ Er selbst geht in den Geräteschuppen, greift nach dem Winchester- Gewehr, stellt es unauffällig an die Koppel. Seiner Frau Wendy überläßt er den Revolver, ohne den er nie einen Fuß vor die Tür setzen würde. Das halbe Dutzend Gäste aus dem nahen Durban, das hier auf der ehemaligen Zuckerfarm Reitstunden nimmt, macht sich eilig auf den Rückweg nach Pietermaritzburg. Auch die beiden schwarzen Stallknechte verschwinden, flüchten sich in den Schutz der dunklen Scheune; sie stammen aus dem benachbarten „Homeland“ Transkei, gehören zum Volk der Xhosa, die traditionell mit den Zulus verfeindet sind.

Sonntägliches Ritual in Zululand: ein „Impi“-Regiment auf dem Heimweg vom Wochenend- Showdown. Etwa 150 Krieger sind es diesmal, viele barfuß, das T-Shirt im Weiß, Rot und Gelb der „Inkatha Freedom Party“ (IFP) des Mangosuthu Buthelezi, manche aber auch in voller Montur: mit Lendenschutz, Leopardenfellmütze, bunten Schleifen und traditionellen Instrumenten. „Democracy is the freedom to choose“ lesen wir auf der Brust eines etwa 18jährigen „Impi“, der Graig freundlich lächelnd um eine Zigarette angeht. „Wir haben sie wieder fertiggemacht, die vom ANC“, brüstet er sich und erklärt seinen weißen Zuhörern in Zulu, daß die schwarzen Brüder, die sich den Zielen des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) Mandelas verschrieben hätten, auf der falschen Fährte seien.

„Das gelingt schon ganz gut“

„Es gibt Zulus, die wollen alles, und zwar sofort. Wie die Xhosa wollen sie es den Weißen einfach wegnehmen. Wir von Inkatha wissen, daß wir, wenn es uns in einem neuen Südafrika besser gehen soll, mit den Weißen zusammenarbeiten müssen. Wir wollen also verhindern, daß der ANC in Südafrika zuviel Einfluß gewinnt. In KwaZulu gelingt uns das schon ganz gut“, grinst er.

In Südafrikas Küstenprovinz Natal herrscht Krieg, ein schwarzer Bürgerkrieg, in dem seit 1987 über sechstausend Menschen hingeschlachtet wurden, bei dem bislang jedoch die weißen Südafrikaner nahezu unbehelligt geblieben sind. Von den sechs Millionen Zulus, die in KwaZulu leben, unterstützen etwa zwei Millionen ihren Chief und „Regierungsoberhaupt“ Buthelezi. Dessen konservative, prokapitalistische Organisation Inkatha ringt seit 1987 mit den linken Gruppen um den ANC verstärkt um die Macht im „Homeland“. Als die Freilassung Nelson Mandelas im Februar 1990 und die Legalisierung seiner Bewegung dann viele Zulus für den ANC mobilisierten, kam es zu einer Gewaltexplosion, die seither nicht mehr abriß.

Fast routinemäßig werden jeden Montag die Toten gezählt. Fünf Menschen sind der Fehde an diesem Wochenende zum Opfer gefallen, wie in der in Durban erscheinenden Daily News zu lesen sein wird – allesamt mit dem Speer erstochen. Eigentlich ist den Schwarzen in KwaZulu seit Beginn der blutigen Auseinandersetzungen neben Schußwaffen auch der Besitz von traditionellen Waffen untersagt. Ein Versuch, diese Anordnung durchzusetzen, hätte jedoch fatale Folgen – und zwar für die Weißen. Aber wie die bizarre Begegnung auf dem Grundstück von Wendy und Graig Keegan unterstreicht, bleiben bei dieser Entladung schwarzen Hasses die Buren vorerst nur Zaungäste.

Es ist bereits dunkel, als die letzten Krieger an uns vorüberziehen. Sie alle kennen die Keegans, so manch einer bleibt stehen, bedient sich am Wasserhahn bei der Pferdetränke, bevor er seinen Weg in Richtung der Rundhütten auf dem Hügel fortsetzt.

An die Brutalität, mit der sich die Zulus gegenseitig nach dem Leben trachten, haben sich Wendy und Graig auch in den vier Jahren, die sie auf ihrem Gut abseits von Kingsburgh, nur zehn Autominuten vom Strand des Indischen Ozeans entfernt, leben, nie gewöhnen können. Sie berichten vom Schicksal des alten Byron, ihres schwarzen Nachbarn, der vor etwa einer Woche aus seinem Haus geschleppt und vor den Augen seiner Tochter und Enkelkinder erstochen und zerstückelt worden sei. Die Kinder des „Kraal“ hätten unter dem Beifall schwerbewaffneter Inkatha-Kämpfer mit seinem Kopf Fußball gespielt.

Auch vielen Schwarzen bleibt das Ausmaß der Barbarei, die sich heute an Orten wie diesem abspielt, unerklärlich. Sie widerspreche „jeder Vorstellung von Ethik, wie sie in den schwarzen Kulturen fest verankert gewesen“ sei, so versuchte sich unlängst Aggrey Klaaste, Chefredakteur der Johannesburger Tageszeitung Sowetan. Die Gewalt der Schwarzen richtet sich gegeneinander, Brüder fallen über Brüder her, Söhne verprügeln ihre Väter. Öffentliche Einrichtungen, schwarze Schulen werden zum Objekt blinder Wut – ein „Irrsinn, der sich wie Gift in die Seele frißt und droht, den Zusammenhalt zu kippen“, so Klaaste.

Daß der Zerfall im Innern der Gesellschaft nicht nur Folge der Apartheid ist, sondern zugleich Folge ihrer Abschaffung, ist eine bittere Ironie der Geschichte. Auch Familien, die keinerlei politische Präferenz an den Tag legen, kann es passieren, daß sie nachts von bewaffneten Banden terrorisiert werden – sowohl ANC- als auch Inkatha-Krieger können mitterweile auf ein ansehnliches Arsenal Kalaschnikows zurückgreifen. Sarah Makaye, tagsüber Hausangestellte bei den Keegans, steht das Entsetzen auch Wochen nach dem Überfall noch im Gesicht geschrieben: „Es waren etwa zehn maskierte Männer“, beginnt sie mühsam in gebrochenem Afrikaans. „Sie haben einfach wahllos in die Hütte reingehalten, auf alles geschossen, was ihnen vor den Lauf kam. Drei meiner Töchter sind von den Kugeln zerfetzt worden.“ In panischer Angst hatte sich die Großfamilie daraufhin zu den Keegans geflüchtet, die sie wochenlang bei sich aufnahmen. Heute leben die Makayes wieder in ihren Hütten hinter dem Hügel, aber die Furcht vor neuen Überfällen beherrscht ihren Alltag.

So wie Sarah Makaye geht es Tausenden Menschen in der unrest area im Süden Natals. Viele sind zwischen die Fronten geraten, nicht nur in der Region Kwa-Makhuta, wo die Makayes leben. In vielen Regionen KwaZulus sind ganze Dörfer vorübergehend entvölkert, die Häuser niedergebrannt, die Menschen auf der Flucht. Und in dem Moment, wo weiße Farmer – so selten das auch vorkommt – Flüchtlinge schützen, machen sie sich selbst zum Ziel gewalttätiger Überfälle. „Als Sarah mit ihren Leuten bei uns wohnte, bekam Wendy Drohanrufe“, erzählt Graig. „Fast jede Nacht hörten wir Schüsse. Heute habe ich immer ein komisches Gefühl, morgens zur Arbeit zu fahren und meine Frau den ganzen Tag allein auf der Farm zu wissen – auch wenn sie gut bewaffnet ist.“

Seit den jüngsten Überfällen auf abgelegene weiße Farmen wie in Ficksburg im Oranje Freistaat, die der „Azanian People's Liberation Army“ (APLA) zugeschrieben werden, sind sich auch Wendy und Graig nicht mehr ganz so sicher, ob sich der Haß „ihrer Schwarzen“ – gemäß der APLA-Devise „One Settler, One Bullet“ – nicht doch in Kürze auch gegen sie richten könnte. „Irgendwann wird es umschlagen, und dann sind wir dran“, so die feste Überzeugung von Marcelle Smit, einem Freund der Keegans aus dem benachbarten Amanzimtoti. „Eingebrockt haben uns das doch diese Verwoerds und Malans“, hadert Marcelle mit den Gründervätern der Apartheid.

Mit der systematischen Ausgrenzung der schwarzen Mehrheit haben die politischen Ziehväter Frederik de Klerks ihren Burenkindern und -enkeln ein verheerendes Erbe hinterlassen. Nach dem (formalen) Ende der Apartheid stehen sie jetzt vor einer Millionenschar von unmündig gehaltenen und gebrochenen Schwarzen. Die Zeiten, in denen die weißen Südafrikaner diesem Regiment ihrer Regierung sorglos oder gar gleichgültig gegenüberstehen konnten, sind vorbei – das neue Südafrika ist ein hochexplosiver Cocktail aus schwarzer Ungeduld und weißer Paranoia, ein brisantes Gemisch aus berechtigten Erwartungen und einem weißen Ja zur Reform, das die Abschaffung von Privilegien nicht gemeint hat.

Auch Wendy Keegan kann sich ein Leben ohne Bedienstete nicht vorstellen, hätten es etwa „ihre Boys“ auf der Farm nicht viel besser als in den städtischen Townships, wo Armut und Gewalt herrsche? Auch Marcelle Smit spürt die Ungerechtigkeit, will aber die Verantwortung dafür nicht tragen. „Der ganze Nonsens hat doch nur dazu geführt, daß unsere Generation wird bluten müssen. Wir werden Unsummen an Steuern bezahlen, nur damit die Schwarzen ordentliche Häuser bekommen und eine Ausbildung, mit der sie was anfangen können in der Zukunft.“ Mitleid empfinde er mit den Millionen von Schwarzen in seinem Land, die von seinem Volk jahrhundertelang geknechtet worden seien. Aber schließlich „haben auch wir selbst es nicht ganz leicht in der jetzigen Rezession“.

Helfen könne er hier und dort, so sagt er. Marcelle hat in seiner Garage einen elfjährigen Jungen untergebracht, dessen Vater vor kurzem bei einem Überfall getötet worden ist. Der Kleine muß jetzt eine fünfköpfige Familie ernähren, für Haus- und Gartenarbeiten gibt ihm Marcelle 70 Rand (ca. 37 Mark) im Monat. Ein Akt angewandter Solidarität? Daß der Junge eigentlich in die Schule gehörte, ahnt der weiße Gönner zwar, müsse er sich aber deswegen gleich die Aufgabe der Regierung zu eigen machen?

Für die Keegans und ihre Freunde steht fest, daß es zum Bürgerkrieg kommen wird in ihrem Land, zum blutigen Machtkampf zwischen Schwarz und Schwarz, zwischen Schwarz und Weiß – spätestens nach der bevorstehenden Machtübernahme durch den ANC. Was sie dann tun werden, wissen sie nicht, sich selbst schützen wahrscheinlich – etwas, das sie auf jeden Fall besser beherrschten als die meisten Schwarzen; schließlich habe jeder weiße Südafrikaner irgendwann einmal an einem der Frontstaaten-Kriege teilgenommen oder in den Townships bei Aufstandsbekämpfungsmaßnahmen mitgeholfen. Nein, das Schicksal der Schwarzen sei ihnen nicht egal, anders als viele radikale Buren hofften sie nicht, daß die Schwarzen sich in möglichst großer Zahl gegenseitig umbringen. „Wir sind keine Rassisten, haben mit der Truppe von Eugène nichts am Hut“, versichert Graig und bezeichnet die Aktionen der rechtsradikalen weißen „Afrikaaner Weerstandsbeweging“ (AWB) des Eugène Terre Blanche – der weiße Killerkommandos unterhält und ein weißes „Homeland“ anstrebt – als „verrückt“ und für das neue Südafrika fatal. Dennoch: „Auch wir sind vorbereitet für den Ernstfall. Wir sind hier geboren, wollen hier leben. Wohin sonst könnten wir schon gehen – es will uns Buren doch keiner haben. Also werden wir kämpfen.“