DDR-Zensor als Professor weiter im Amt

■ Willfährige Professoren halfen in der DDR bei der Verfolgung Oppositioneller

Berlin (taz) – Ohne Blockwartsmentalität, ohne Handlanger und ohne Erfüllungsgehilfen hätte sich das DDR-Regime nicht halten können. Dieser Überzeugung ist der Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/ Grüne, Gerd Poppe. Beispiel Grenzfall: Das von der Oppositionsgruppe „Initiative für Frieden und Menschenrechte“ herausgegebene Blatt galt den Mächtigen im SED-Staat als staatsfeindliche Hetzschrift. Gestern stellte das Bündnis in Berlin ein Ende letzten Jahres aufgetauchtes Gutachten aus dem Januar 1988 vor, mit dem der staatsfeindliche Charakter der Zeitschrift belegt werden sollte. Eine Expertise, die für das Schicksal der Bürgerrechtler und Grenzfall-Mitarbeiter Wolfgang und Lotte Templin, Ralf Hirsch, Werner Fischer und Bärbel Bohley von entscheidender Bedeutung war: sie wurden am 25. Januar 1988 verhaftet, mußten die DDR anschließend verlassen.

Den Ermittlungsverfahren lag das Gutachten zugrunde, das die Generalstaatsanwaltschaft bei den Professoren der Berliner Humboldt-Universität Hanni Seidel (Marxismus-Leninismus), Horst Luther (Strafrecht) und dem Philosophieprofessor der Parteihochschule Günter Söder in Auftrag gab. Bei den Initiatoren des Grenzfall, urteilten die drei in ihrem 21seitigen Gutachten, handele es sich um Personen, „deren Verhältnis zur DDR eindeutig als feindlich eingeschätzt werden muß“. Schlimmer noch: „Die Materialien lassen erkennen, daß die Initiatoren von Grenzfall umfangreiche und sehr schnell funktionierende Verbindungen zu den Medien der BRD besitzen.“

Der Grenzfall ist kein Einzelfall, glaubt Wolfgang Templin. Gegen andere Oppositionsgruppen dürfte ähnlich verfahren worden sein. Templin ist überzeugt, daß das Gutachten letztlich von der Staatssicherheit in Auftrag gegeben wurde. Um so überraschter war er, als er zur Jahreswende feststellte, daß einer der Professoren, Horst Luther, auch heute noch in der Humboldt-Universität hoch im Kurs steht. Der Jurist überstand nicht nur alle Überprüfungs- und Evaluierungsverfahren, er stand kurz vor seiner Festanstellung. Nachdem Templin die Universitätsleitung und den Wissenschaftssenat informierte, wurde das Anstellungsverfahren gestoppt.

Auf die Formel, nur im Auftrag gehandelt zu haben, werden sich Luther und Kollegen nicht zurückziehen können. Ungefragt urteilten sie in ihrem Gutachten auch über die regimekritischen „Umweltblätter“. Obwohl nicht Gegenstand ihrer Expertise, machten sie aus, daß sich die Zeitschrift „in wachsendem Maße die gesellschaftspolitische Zielsetzung von ,Grenzfall‘ zu eigen“ mache. Wolfgang Gast