Wachwechsel in der Atomgewerkschaft

■ Hamburgs Industriegewerkschaft Metall setzt sich unter ihrem Ersten Bevollmächtigten Klaus Mehrens neue Ziele: Sie versucht langsam Abschied zu nehmen vom sozialdemokratischen Filz, von der Rüstung...

setzt sich unter ihrem Ersten Bevollmächtigten Klaus Mehrens neue Ziele: Sie versucht

langsam Abschied zu nehmen vom sozialdemokratischen Filz, von der Rüstung, von Industriesubventionen und vom Atomstrom.

Mal ehrlich: Kennen Sie Klaus Mehrens? Nein? Schade. Aber kein Wunder. Der Mann, von dem im klitzekleinen Insiderkreis Hamburger Gewerkschaftskenner seit geraumer Zeit geschwärmt wird, ist zwar der Boß von 47000 Hamburger MetallgewerkschafterInnen, aber furchtbar uneitel, sehr nachdenklich und ungewöhnlich selbstkritisch.

Es kommt hinzu, daß Öffentlichkeitsarbeit für die traditionsreichen Hamburger Metaller noch immer ein Fremdwort ist. So hat sogar die taz drei Jahre gebraucht, bis sie den neuen Mann jetzt endlich unter die Lupe nahm. War es ein Zufall, daß wir vor wenigen Tagen bei unserem Besuch in der Metaller-Chefetage mitten in eine Sitzung des neuen Arbeitskreises Öffentlichkeitsarbeit platzten?

Klaus Mehrens ist 51, Akademiker. In Frankfurt war er viele Jahre Chefdenker der IGM-Zentrale, seit 1990 versucht er der Hamburger IGM den grundlegenden Wandel schmackhaft zu machen.

Mehrens' Vorgänger „Jonny“ Müllner war von reichlich anderem Schrot und Korn: ein solider Filzkämpe, fest eingewoben ins SPD- Geflecht. Sein Weltbild war schwarz-weißgerastert, für ihn gab es nur Freund oder Feind, oben oder unten. Hierarchisches Denken, Männertreue im SPD- und Gewerkschaftsgefüge — das waren seine Markenzeichen.

Mehrens dagegen organisierte als Leiter der IGM-Grundsatzabteilung von 1975 bis 1989 an entscheidender Stelle den Modernisierungsprozeß dieser Großgewerkschaft. Seine Themen: Rüstungskonversion, neue Verkehrspolitik (Kritik am Auto), Ökologie, neue Energiepolitik, zunächst unter Loderer, dann unter Steinkühler.

Der Chef schlachtet heilige Kühe

Er gehört zu jenen, die den starren Rahmen gewerkschaftlicher Orientierung am Dreigestirn Tarifpolitik, Arbeitsplätze und Metallindustrie- Subventionen aufbrachen. Nachdenken über die Inhalte der Produktion, eine aktive Begleitung gesellschaftlicher und politischer Reformen, Humanisierung der Arbeit (Einsatz für die 35-Stunden-Woche) und Demokratisierung der Gewerkschaft sind seine Themen.

Der kreative Denker sah sich 1990 urplötzlich aus der Nestwärme der Frankfurter Funktionärsbürokratie ins echte Gewerkschaftsleben geworfen. Nun galt es nicht mehr Kongresse zu organisieren, Beiträge zu schreiben und Steinkühler mit neuen Ideen zu füttern, sondern in Deutschlands zweitgrößter Industriestadt aktive Industriepolitik anzuschieben, knallharten Lobbyismus für ein halbes Hunderttausend MetallerInnen zu betreiben und das mittelständische Dienstleistungsunternehmen IGM Hamburg mit seinen 26 hauptamtlichen Funktionären zu leiten. Eine Aufgabe, die Mehrens reizte: „Ich hatte das Bedürfnis, endlich mal ein bißchen konkreter zu arbeiten.“

Daß er diesem Drang nun nachgeben kann, verdankt Mehrens dem Chef des IG-Metall-Bezirks „Küste“, Frank Teichmüller. Teichmüller, ebenfalls Akademiker und Erneuerer, war Anfang der 80er Jahre an die Spitze der norddeutschen Metaller gestürmt. Er nutzte die Chance des Abgangs von Müllner, um einen Gleichgesinnten und Freund an die Spitze des verkrusteten Hamburger Apparats zu holen. Ein sympathisch ungleiches Duo: Teichmüller eine echte Hoppla- jetzt-komm-ich-Type, wortgewaltig, selbstbewußt, meist in Sekundenschnelle Chef im Ring, Mehrens ein stiller, zäher Fädenflechter, der seine Erfolge beharrlich und mit langem Atem organisiert.

1Mehrens: „Zunächst war es eine Befreiung, zu erleben, wie hier alle gemeinsam an einer Sache arbeiten.“ Schlüsselerlebnis dabei die Tarifrunden, bei denen es zuletzt in Hamburg hoch herging, größere Streiks nicht ausgeschlossen schienen. Doch erst allmählich dämmerte Mehrens, auf was er sich in Hamburg alles eingelassen hatte. Mehrens heute: „Man dringt auch nach vielen Jahren nicht nach ganz unten durch.“ Der laut Mehrens „überorganisierte“ Gewerkschaftsapparat tat und tut sich ungemein schwer, auf die Krise von Metallindustrie und IG Metall konstruktiv und offensiv zu reagieren. Von Mehrens wurden „Vorgaben“ erwartet, sein Ansatz von „Teamarbeit“, „Eigenverantwortlichkeit“ und „Motivation“ zu kreativer Arbeit zunächst als „Führungsschwäche“ ausgelegt.

Inzwischen hat die Mehrheit des Apparats den neuen Chef schätzen gelernt, zumal es ihm gelang, einen Gutteil der althergebrachten Grabenkämpfe zwischen Linken und Rechten zu beenden. Die innere Dialogfähigkeit hat sich enorm verbessert, erste Ansätze zu moderneren Arbeitsstrukturen werden umgesetzt. Ob das ausreicht, um die IG Metall, die in Hamburg in den vergangenen Jahren gut 20 Prozent ihrer Mitglieder verloren hat, aus der Krise herauszuführen, aus einer Krise, in der sich 20 Jahre verfehlter Industrie-, Rüstungs- und Energiepolitik bündeln?

Der Stützpfeiler der Industriepolitik wankt

Mal ehrlich: Wußten Sie, daß die Atomstromfraktion der Hamburger Arbeiterklasse in der IG Metall organisiert ist? Tatsache ist: Atomstrom und Metallindustrie bilden in Hamburg eine feste Ehe. Als Hamburgs SPD mit dem Segen ihres Gewerkschaftsfilzes in den sechziger und siebziger Jahren daran ging, aus der Unterelberegion das Ruhrgebiet des Nordens zu machen, bildeten der Akw-Bau und die hochsubventionierte Neuansiedlung stromfressender Metallindustrie eine strategische Allianz: Hamburger Stahlwerke und Reynolds-Aluminium

1verfuttern billigen Atom-Strom, Reynolds sogar zum weltrekordverdächtigen Dumpingpreis von nur 2,8 Pfennig pro Kilowattstunde. Auch ein dritter Metallriese, die Norddeutsche Affinerie (Kupfer), strahlt über den Subventionsstrom aus Stade. Mehrens: „Wir haben in allen wichtigen Gremien HEW-Vertreter.“

Auch der Rest der Metallbranche ist von industriepolitischem Adel: In der altehrwürdigen Kriegswerft Blohm + Voss wartet man sehnsüchtig auf Taiwan-Dollar, um das chinesische Meer aufzurüsten, und in Hamburg-Finkenwerder bosseln die Kollegen der Deutschen Airbus am europäischen Subventionsvogel Nummer eins, dem Airbus.

Die IG Metall war bis zum Beginn der großen Werftenkrise Anfang der 80er Jahre der wichtigste und treueste Stützpfeiler für die fanatische Industriepolitik des Senats, an deren Folgen die Stadt leidet — das immer präsente Risiko eines Super-Gau miteinbegriffen.

Heute müssen die 47000 Metall-KollegInnen befürchten, daß eine verantwortungsvolle Energiepolitik und ein Ende des Strompreis-Dumpings auch das Ende von Aluminium-, Stahl- und Kupfer- Werken bedeutet. Blohm + Voss wird von der rot-grünen Friedenspolitik in Niedersachsen bedroht, und bei Airbus sorgt die Weltrezession in der Luftfahrt für die Drosselung des Produktionsprogramms. Wird Volker Rühes „Jäger 90 light“ doch noch gestoppt, droht weiteres Ungemach: Die Südschiene des Daimler-Benz-Luftfahrtriesen Dasa, dem die Deutsche Airbus gehört, wird dann auf der massenhaften Abgabe von Arbeitspaketen in ihre Region bestehen. Bleibt schließlich die Dauerkrise der Deutschen Philips, die ihre Chipträume trotz eines 100-Millionen-Mark-Geschenks des Senats kürzlich beerdigte.

Kein Wunder, daß auch ein Klaus Mehrens nach althergebrachten Strohhalmen greift: Die Hamburger IG Metall gab 1988 der Großfusion zwischen Daimler-Benz und MBB den Segen, half mit, daß Hamburg Standort und Managementort der zivilen Flugzeugpro-

1duktion (Airbus) des Daimler-Imperiums wurde. Vor wenigen Wochen sorgte die Gewerkschaft mit dafür, daß die Hamburger Stahlwerke von der Stadt mit 30 Millionen Mark an Bürgschaften und Krediten vorläufig am Leben gehalten werden. Und wenn Umweltschützer und Energieexperten fordern, die Stahl-, Kupfer- und Aluminiumproduktion in Hamburg nicht länger durch Energie- und sonstige Subventionen künstlich am Leben zu halten, antwortet die IG Metall ganz traditionell und schlicht, daß ein derartiger Wegfall der industriellen Basis in Hamburg kaum vorstellbar sei.

Insgeheim bastelt Mehrens mit einigen Getreuen dennoch an einem neuen Industriekonzept für Hamburg. Er will zusammen mit der Industrie und der Wirtschafts-

1behörde eine „strukturpolitische Entwicklungsagentur“ aufbauen, die Grundlagen für eine neue und vernünftige Industriepolitik legen soll. Ein „industriepolitischer Arbeitskreis“ ist schon heute aktiv, an einer von der Wirtschaftsbehörde vorbereiteten „konzertierten Aktion“ will sich die IGM aktiv beteiligen. Der große Wurf für ein Zeitalter ohne Atomstrom und Grundstoffindustrien steht allerdings noch aus.

IGM-Kritiker bemängeln nicht ganz grundlos, der neue Anstrich gefalle zwar, die Gebäudesanierung stehe jedoch noch aus: Außer neuen Tönen, netten Leuten und klitzekleinen modernen Ansätzen habe sich letztlich nichts geändert. Und mancher prophezeit, Perestroika und Glasnost kämen in der

1IGM zu spät, um den Bedeutungsverlust der ehemals so mächtigen Organisation noch wirklich zu stoppen.

Mehrens setzt Optimismus und ein zentrales Argument dagegen: Ohne moderne Strukturpolitik sei weder der Aufbau Ost noch die Bewältigung der Krise West zu schaffen. Die Gewerkschaften würden hier dringend gebraucht und oft sogar die Vorreiterrolle spielen, eine Rolle, die Frank Teichmüller mit unermüdlichem Engagement in Sachen „maritimer Verbundwirtschaft“ von Emden bis Wolgast seit Jahren predigt.

Distanz zum Rathaus

In einem ist Klaus Mehrens vielen anderen Gewerkschaftserneuerern weit voraus: „Ich achte auf Distanz zum Rathaus. Unabhängigkeit ist gut.“ Anders als Hamburgs netter DGB-Chef Erhard Pumm verweigerte sich Mehrens 1991 dem Drängen der SPD-Führung, einen reservierten Platz auf den Bänken der SPD-Bürgerschaftsfraktion einzunehmen.

Klaus Mehrens sieht sich inzwischen bestätigt, er bedauert die Art und Weise, wie Pumm zwischen den Mühlsteinen gesamtgewerkschaftlicher Interessenvertretung, Fraktionsdisziplin und öffentlicher Politikverdrossenheit zerrieben wird. Gerade die Gewerkschaften müßten höllisch aufpassen, ihre Erneuerungsschritte nicht durch den Filzmief und allzu enge Kontakte zum Auslaufmodell des traditionellen Parteienstaates zu hemmen.

Bedeutet diese Haltung aber nicht einen Einflußverlust? Mehrens: „Wir haben Einfluß. Mein Verhältnis zu Voscherau ist gut. Wir machen Politik über unsere Posten.“ In der Tat: Wie die ÖTV ist auch die IG Metall mit Aufsichtsratsposten reich gesegnet, hat dank der Kombination von Filztradition und ständischer Vertretungstradition an vielen entscheidenden Stellen die Finger mit im Spiel. Fast mag man da Klaus Mehrens glauben, wenn er sagt: „Wir werden gestalten und nicht bloß erhalten.“ Florian Marten