Masseure greifen ins Leere

■ Physiotherapeuten klagen über grassierende Verschreibehemmung der Kassenärzte

Nach den Apothekern stimmen jetzt auch die Masseure und medizinischen Bademeister das Klagelied vom Umsatzrückgang an. In manchen Praxen bleiben bis zu drei Viertel der Patienten aus, berichtet Waltraud Honschoop, Geschäftsführerin des Verbandes Physikalische Therapie in Bremen. Dabei gibt es ihrer Ansicht nach für die Zurückhaltung der Ärzte gar keinen Grund: Basis des „Heilmittelbudgets“, dessen Höhe die Ärzte in diesem Jahr bei ihren Verschreibungen nicht überschreiten sollen, sind die Ausgaben im Jahr 1991. Hinzu kommt ein Inflationsausgleich und einige Prozentpunkte mehr für die Zunahem an niedergelassenen Ärzten. Unterm Strich bleibe ein Budget von 112 Prozent des 91-er-Umsatzes, so die Geschäftsführerin. In absoluten Zahlen können die ÄrztInnen in diesem Jahr nach Berechnungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung für 560 Millionen Mark mehr physikalisch-therapeutische Leistungen verordnen als 1991.

„Damit könnten wir leben“, meint die Masseurin Christiane Schütte. „1991 war für uns ein gutes Jahr.“ Doch wie andere MasseurInnen hat auch sie die Erfahrung gemacht: „Die Ärzte verschreiben einfach nicht mehr.“

Einige ÄrztInnen legen in ihren Praxen sogar Briefe aus, berichtet Christiane Schüttes Kollege Hartmut Weldt: „Wir können Ihnen heute die medizinisch notwendigen Verordnungen leider nicht mehr zu Lasten ihrer gesetzlichen Krankenkasse verschreiben ...“ Die Ärzte bitten die „verehrten PatientInnen“, sie nicht zu „sogenannten Wunschverordnungen wie ... Massagen und Bewegungsbäder“ zu drängen, so Weldt. „Das Selbstbewußtsein der Ärzte bei den Verschreibungen ist nicht besonders ausgeprägt“, kritisiert der Masseur, der als Geschäftsführer des Marnitz-Bundes weitere Masseure und Bademeister in Bremen vertritt: „Die Ärzte haben doch einen hohen Intelligenzquotienten. Die müßten wissen, wie sie sich zu verhalten haben, und sich etwas mehr Disziplin auferlegen.“ Und weil einige ÄrztInnen die PatientInnen in ihren Briefen auffordern: „Weitere Fragen sollten sie mit Ihrem gewählten Bundestagsabgeordneten besprechen“, vermutet Weldt hier eine politische Kampagne.

Jürgen Grote, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Vereinigung in Bremen, findet es ganz „natürlich“, daß die Ärzte „als vorsichtige Menschen“ im Moment sehr zurückhaltend seien. Die Kassenärztliche Vereinigung hat ihren Mitgliedern vorgerechnet, für wieviel Millionen sie im ersten Quartal 1992 Arznei- und Heilmittel verschrieben haben. Gegenüber 1991 stellte die Vereinigung eine Steigerung um 16 Prozent fest. Natürlich werde im ersten Vierteljahr

Hierhin bitte

das Massage-Foto

Keine Massagen mehr für Kreuzlahme?Foto: Tristan Vankann

eines Jahres wegen Grippe- und Erkältungswellen mehr verschrieben als im dritten Quartal, räumt Grote ein . Doch die Ärzte wüßten nicht, was sie verordnen dürfen: „Sie wissen nicht über das Budget, das sie verbraucht haben, Bescheid.“ Gerade bei den Massagen habe es einen „Wildwuchs an Wunschverschreibungen“ gegeben, moniert der Vorsitzende.

Weil die Ärzte sich nun in Zurückhaltung üben, sehen sich die MasseurInnen in ihrer Existenz bedroht: „Wenn das so weitergeht, können einige von uns zumachen“, klagt Christiane Schütte. Sie und ihre KollegInnen seien von den Verschreibungen der Ärzte abhängig. Nur fünf Prozent aller KundInnen seien PrivatpatientInnen. „Wir müssen jetzt Geld verdienen“, sagt Christiane Schütte, denn in den ersten fünf Monaten eines Jahres machten die MasseurInnen und BademeisterInnen den größten Teil ihres Umsatzes. „Dann kommt das Sommerloch“.

Auch bei früheren Gesundheitsreformen seien die Ärzte in den ersten Wochen sehr zurückhaltend mit Verschreibungen gewesen, berichtet Waltraud Honschoop. Doch in diesem Jahr sei es schlimmer als in den Jahren zuvor. Sie warnt vor zuviel Zurückhal

tung, denn „was die Ärzte in diesem Jahr verschreiben, wird möglicherweise Bemessungsgrundlage für 1994. Und die Leidtragenden sind wirklich die Patienten.“ Diemut Roether